Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
im alten Europa denken die Leute eben, daß man hier nur die Tasche aufzumachen habe, um die blanken Dollars hineinfliegen zu sehen. Wenn es einmal Einem glückt, so schreiben alle Zeitungen von ihm; von den Tausenden aber, welche im Kampfe mit den Wogen des Lebens untersinken und spurlos verschwinden, spricht kein Mensch. Habt Ihr denn das Glück gefunden, oder befindet Ihr Euch wenigstens auf seiner Fährte?«
»Ich denke das Letztere bejahen zu können.«
»So schaut nur scharf aus, und laßt Euch die Spur nicht wieder entgehen! Ich weiß am besten, wie schwer es ist, eine solche Fährte fest zu halten. Vielleicht habt Ihr gehört, daß ich ein Scout 1 bin, der es mit jedem andern Westmanne aufzunehmen vermag, und dennoch bin ich bisher dem Glücke vergeblich nachgelaufen. Hundertmal habe ich geglaubt, nur zugreifen zu brauchen, aber sobald ich die Hand ausstreckte, verschwand es wie ein
Castle in the air
(Luftschloß), welches nur in der Einbildung des Menschen existirt.«
Er hatte das in trübem Tone gesprochen und blickte dann still vor sich nieder. Als ich keine Bemerkung zu seinen Worten machte, sah er nach einer Weile wieder auf und meinte:
»Ihr könnt nicht wissen, wie ich zu solchen Reden komme. Die Erklärung ist sehr einfach. Es greift mich immer ein wenig an das Herz, wenn ich einen Deutschen, zumal einen jungen Deutschen sehe, von dem ich mir sagen muß, daß er wohl auch – – untergehen werde. Ihr müßt nämlich wissen, daß meine Mutter eine Deutsche war. Von ihr lernte ich ihre Muttersprache, und wenn es Euch beliebt, können wir also deutsch sprechen. Sie hat mich bei ihrem Tode auf den Punkt gesetzt, von welchem aus ich das Glück vor mir liegen sah. Ich aber hielt mich für klüger und lief in falscher Richtung davon. Master, seid gescheidter als ich! Es ist Euch anzusehen, daß es Euch grad so gehen kann wie mir.«
»Wirklich? Wieso?«
»Ihr seid zu sein: Ihr duftet nach Wohlgerüchen. Wenn ein Indianer Eure Frisur sähe, so würde er vor Schreck todt hinfallen. An Eurem Anzuge gibt es kein Fleckchen und kein Stäubchen. Das ist nicht das Richtige, um im Westen sein Glück zu machen.«
»Ich habe keineswegs die Absicht, es grad hier zu suchen.«
»So! Wollt Ihr wohl die Güte haben, mir zu sagen, welchem Stande oder Fache Ihr angehört?«
»Ich habe studirt.«
Ich sagte das mit einem gewissen Stolze. Er aber sah mir mit leichtem Lächeln – das bei seinen Todtenkopfzügen wie ein höhnisches Grinsen erschien – in das Gesicht, schüttelte den Kopf und sagte:
»Studirt! O wehe! Darauf bildet Ihr Euch jedenfalls viel ein? Und doch sind grad Leute Eurer Sorte am wenigsten befähigt, ihr Glück zu machen. Ich habe das oft genug erfahren. Habt Ihr eine Anstellung?«
»Ja, in New-York.«
»Was für eine?«
Es war ein so eigener Ton, in welchem er seine Fragen stellte, daß es fast unmöglich war, ihm die Antwort zu verweigern. Da ich ihm die Wahrheit nicht sagen durfte, erklärte ich ihm:
»Ich bin engagirt von einem Bankier, in dessen Auftrag ich mich hier befinde.«
»Bankier? Ah! Dann freilich ist Euer Weg ein viel ebenerer, als ich gedacht habe. Haltet diese Stelle fest, Sir! Nicht jeder Studirte findet Stellung bei einem amerikanischen Geldmanne. Und sogar in New-York? Da genießt Ihr bei Eurer Jugend ein bedeutendes Vertrauen. Man sendet von New-York nach dem Süden nur Einen, auf den man sich verlassen kann. Freut mich sehr, daß ich mich in Euch geirrt habe, Sir! So ist’s jedenfalls ein Geldgeschäft, welches Ihr abzuwickeln habt?«
»Etwas Aehnliches.«
»So! Hm!«
Er ließ abermals einen seiner scharf forschenden Blicke über mich hingleiten, lächelte grinsend wie vorher und fuhr fort:
»Aber ich glaube, den eigentlichen Grund Eurer Anwesenheit errathen zu können.«
»Das bezweifle ich.«
»Habe nichts dagegen, will Euch aber einen guten Rath ertheilen. Wenn Ihr nicht merken lassen wollt, daß Ihr hierher gekommen seid, Jemand zu suchen, so nehmt Eure Augen besser in Acht. Ihr habt Euch Alle hier im Locale Anwesenden auffällig genau angesehen, und Euer Blick hängt beständig an den Fenstern, um die Vorübergehenden zu beobachten. Ihr sucht also Jemand. Habe ich es errathen?«
»Ja, Master. Ich habe die Absicht, Einem zu begegnen, dessen Wohnung ich nicht kenne.«
»So wendet Euch an die Hôtels!«
»War vergeblich und ebenso vergeblich die Bemühung der Polizei.«
Da ging jenes freundlich sein sollende Grinsen wieder über sein Gesicht; er kicherte vor
Weitere Kostenlose Bücher