Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
Leute haben werde. Um nicht ganz unthätig zu bleiben, trieb ich mich suchend in dem Gewühl herum. Vielleicht kam mir ein günstiger Zufall zu statten.
Ich befand mich zum ersten Male im Süden des Landes, und also fiel mir der Unterschied zwischen dem Treiben von New-York und New-Orleans doppelt auf. New-Orleans hat einen ganz entschieden südlichen Charakter, besonders in seinen älteren Theilen. Da gibt es schmutzige, enge Straßen, Häuser, welche mit Laubenvorbauten und Balkons versehen sind. Dorthin zieht sich dasjenige Leben zurück, welches das Licht des Tages zu scheuen hat. Da sind alle möglichen Gesichtsfarben vom krankhaft gelblichen Weiß bis zum tiefsten Negerschwarz vertreten. Leierkastenmänner, ambulante Sänger und Guitarrespieler produziren ihre ohrenzerreißenden Leistungen. Männer schreien, Frauen kreischen; hier zerrt ein zorniger Matrose einen scheltenden Chinesen am Zopfe hinter sich her; dort balgen sich zwei Neger, von einem Kreise lachender Zuschauer umgeben. An jener Ecke prallen zwei Packträger zusammen, werfen sofort ihre Lasten ab und schlagen wüthend auf einander los. Ein Dritter kommt dazu, will Frieden stiften und bekommt nun von Beiden die Hiebe, welche ursprünglich nicht für ihn bestimmt waren.
Einen bessern Eindruck machen die vielen kleinen Vorstädtchen, welche aus netten Landhäusern bestehen, die sämmtlich von sauberen Gärten umfriedet sind, in denen Rosen, Stechpalmen, Oleander, Birnen, Feigen, Pfirsiche, Orangen und Zitronen stehen. Dort findet der Bewohner die ersehnte Ruhe und Beschaulichkeit, nachdem ihn der Lärm der Stadt umtobt hat.
Am Hafen geht es natürlich am regsten zu. Da wimmelt es förmlich von Schiffen und Fahrzeugen aller Arten und Größen. Da liegen riesige Wollballen und Fäßer aufgestapelt, zwischen denen sich Hunderte von Arbeitern bewegen. Man könnte sich auf einen der Baumwollenmärkte Ostindiens versetzt denken.
So wanderte ich durch die Stadt und hielt die Augen offen – vergeblich. Es war Mittag und sehr heiß geworden. Ich befand mich in der schönen, breiten Common Street, in welcher mir das Firmenschild einer deutschen Bierstube in die Augen fiel. Ein Schluck Pilsener in dieser Hitze konnte nichts schaden. Ich ging hinein.
Welcher Beliebtheit sich schon damals dieses Bier erfreute, konnte ich aus der Menge der Gäste ersehen, welche in dem Locale saßen. Erst nach langem Suchen sah ich einen leeren Stuhl, ganz hinten in der Ecke. Es stand da ein kleines Tischchen mit nur zwei Sitzplätzen, deren einen ein Mann eingenommen hatte, dessen Aeußeres wohl geeignet gewesen war, die Besucher von der Benutzung des zweiten Platzes abzuschrecken. Ich ging nichtsdestoweniger hin und bat um die Erlaubniß, mein Bier bei ihm trinken zu dürfen.
Ueber sein Gesicht ging ein fast mitleidiges Lächeln. Er musterte mich mit prüfendem, beinahe verächtlichem Blicke und fragte:
»Habt Ihr Geld bei Euch, Master?«
»Natürlich!« antwortete ich, mich über diese Frage wundernd.
»So könnt Ihr das Bier und auch den Platz, den Ihr einnehmen wollt, bezahlen?«
»Ich denke es.«
»
Well,
warum fragt Ihr da nach meiner Erlaubniß, Euch zu mir setzen zu können? Ich calculire, daß Ihr ein Dutchman seid, ein Greenhorn hier zu Lande. Der Teufel sollte einen Jeden holen, der es wagen wollte, mich zu verhindern, da Platz zu nehmen, wo es mir gefällt! Setzt Euch also nieder; legt Eure Beine dahin, wo es Euch beliebt, und gebt demjenigen, der es Euch verbieten will, sofort Eins hinter die Ohren!«
Ich gestehe aufrichtig, daß die Art und Weise dieses Mannes mir imponirte. Ich fühlte, daß meine Wangen sich geröthet hatten. Streng genommen, waren seine Worte beleidigend für mich, und ich hatte das dunkle Gefühl, daß ich sie mir nicht gefallen lassen dürfe und wenigstens einen Versuch der Abwehr machen müsse. Darum antwortete ich, indem ich mich niedersetzte:
»Wenn Ihr mich für einen German haltet, so habt Ihr das Richtige getroffen, Master; die Bezeichnung Dutchman aber muß ich mir verbitten, sonst sehe ich mich gezwungen, Euch zu beweisen, daß ich eben kein Greenhorn bin. Man kann höflich und doch dabei ein alter Schlaukopf sein.«
»Pshaw!« meinte er gleichmütig. »Ihr seht mir just nicht so schlau aus. Gebt Euch keine Mühe, in Zorn zu kommen; es würde zu nichts führen. Ich habe es nicht bös mit Euch gemeint und wüßte faktisch nicht, wie Ihr es anfangen wolltet, Euch mir gegenüber ein Relief zu geben. Old Death ist nicht der
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