Der Seher des Pharao
vorlas.
Ischat hüpfte mit wehenden Haaren auf und ab. »Seher des Königs! Mein Huy ist Seher des Königs!«, schrie sie. Ihr Überschwang brachte Huy zum Lachen, aber als sie das sah, wurde sie wieder nüchtern. »Was sollte falsch daran sein?«, wollte sie wissen.
Huy klopfte mit der Schriftrolle gegen den Tisch. »Verstehst du das nicht? All diese Großzügigkeit – doch um das Haus, die Diener und die Götter wissen was noch zu behalten, muss ich tun, was der König verlangt. Ich werde immer seinen Launen unterworfen sein.«
»Welchen Launen? Alles, was er von dir will, ist, dass du zuerst ihm und seinem Hof weissagst. Und du kannst den Bürgern der Stadt nach wie vor weissagen. Das schreibt er doch.«
»Ich weiß. Aber es beunruhigt mich, so sehr von der königlichen Gunst abhängig zu sein, Ischat. Wenn ich ihn beleidige, kann er mehr tun, als mir alles wieder wegzunehmen – er kann mich wegen meiner Undankbarkeit bestrafen. Ich würde lieber seine Geschenke ablehnen und als freier Mann hier in unserem kleinen Haus bleiben.«
»Bist du verrückt?« Sie kam ganz dicht heran. »Du willst die Geschenke vielleicht nicht, aber ich habe sie verdient! Außerdem: Wenn du ablehnst, beleidigst du ihn weit mehr, als du das in Zukunft je tun kannst, oder? Und wie lange kannst du dich bei den Kranken in dieser Stadt verausgaben, bis entweder deine Gabe oder dein Körper am Ende ist? Jeden Tag Kopfschmerzen, Ringe unter den Augen, zu müde, um schlafen zu können. Bitte, Huy! Lass uns das machen!«
»Das sind Weiberargumente«, murrte er, »aber ich fürchte, sie stimmen. Lass mich den Brief unseres Gaufürsten lesen und die Entscheidung auf morgen verschieben.«
Er konnte fast hören, wie sie alles Weitere verschluckte. Sie nickte und machte dann eine knappe Geste. »Dann lies.«
Er öffnete das Siegel und las wiederum laut vor. Ischat blieb stehen, wo sie war.
An den Seher Huy, Sohn des Hapu. Sei gegrüßt. Der König hat mir seine Wünsche deine Person betreffend mitgeteilt, und es freut mich, dir sagen zu können, dass ich die Bitte in die Hände deines Bürgermeisters Mery-Neith gelegt habe. Er hat den Auftrag, ein passendes Haus für dich zu finden und die Beschaffung von Möbeln, Korn, Öl und Dienern persönlich zu überwachen. Der König möchte dich außerdem mit Gold, Parfümen, Schminke und anderen Notwendigkeiten aus seinen eigenen Schatz-und Lagerhäusern ausstatten. Genieße dein Glück und segne den Gott, der so großzügig ist. Falls du nicht einverstanden bist mit Mery-Neiths Wahl, hat er meine Erlaubnis, dir andere Anwesen zu zeigen. Im Auftrag des Königs mit eigener Hand geschrieben am heutigen dreizehnten Tag von Tybi, Jahr drei.
»Dir andere Anwesen zu zeigen!«, krähte Ischat. »Oh Huy! Wir haben Mery-Neith noch nicht behandelt, oder?«
»Nein.« Huy rollte den Brief mit dem Gefühl, geschlagen zu sein, wieder zusammen. Es wäre in der Tat Wahnsinn, dem König dieses Juwel wieder vor die Füße zu werfen, auch wenn ein Schatten darauf zu liegen schien. »Aber wir waren in den Häusern von mehreren seiner Mitarbeiter. Mery-Neith hat eine große und sehr gesunde Familie.« Er legte den Brief des Gaufürsten neben den des Königs und starrte die beiden glatten Rollen an. »Ich nehme an, der Bürgermeister weiß mittlerweile Bescheid, und wir müssen bloß auf seine Nachricht warten.«
»Also nimmst du das Angebot des Königs an?«
»Es bleibt mir kaum eine andere Wahl. Ich kann nur hoffen, Amenhoteps Regentschaft verläuft ohne die Notwendigkeit, schwierige Entscheidungen zu treffen, sodass er unser weiteres Wohlergehen in die Hände seines Schatzmeisters und eines Haushofmeisters legt und mich allmählich vergisst.« Er sah sie an. »Außerdem hast du recht, Ischat. Ich schulde es dir. Ohne dich könnte ich das Werk der Götter nicht tun.«
»Nein, das könntest du nicht.« Sie holte so tief Luft, dass sich ihre Schultern hoben. »Während wir auf die Nachricht des Bürgermeisters warten, kannst du mir helfen, die Wäsche zum Trocknen auszubreiten, damit wir morgen früh etwas zum Anziehen haben.«
Mehr als zehn Tage lang hörten sie nichts vom Bürgermeister. Ischat schrieb weiterhin die Namen der Hilfesuchenden auf, die sich jeden Morgen im Vorhof des Tempels drängten, und Huy und sie besuchten weiterhin die Kranken. Huy hatte die Briefe Methen gezeigt und gehofft, der Oberpriester würde ihm abraten, das Geschenk des Königs anzunehmen. Aber Methen hatte nur genickt und zustimmend
Weitere Kostenlose Bücher