Der Seher des Pharao
werden nur die ganz verzweifelten Bürger dich dort belästigen. Magst du dich mit in meine Sänfte setzen, Meister? Deine Dienerin kann die andere nehmen, wenn du willst, dass sie mitkommt.«
»Selbst ein Rudel hungriger Hyänen würde Ischat nicht daran hindern.« Huy zeigte auf die zweite Sänfte. Ischat nickte und rannte zu ihr. »Sie ist eher meine Freundin als eine Dienerin, Bürgermeister.«
»Ah, gut.« Mery-Neith setzte sich neben Huy, der insgeheim lachte. Der Bürgermeister war zu höflich, um nach der Art von Huys Verhältnis zu Ischat zu fragen, aber Huy spürte deutlich, dass dem Mann die Frage auf der Zunge lag. Er ließ ihn im Ungewissen.
Huy schob den Vorhang auf seiner Seite der Sänfte beiseite, sodass er sehen konnte, welchen Weg sie nahmen. Am Ende der Straße bogen die Träger nach rechts ab, gingen am Tempelbezirk entlang, bis sie zu einer breiteren Straße kamen, die ein kurzes Stück nach Osten führte, wie Huy wusste, und dann in die Straße am östlichsten Flussarm mündete. Er fragte sich, ob es dann nach Norden oder nach Süden gehen würde. Ihm war der Süden lieber, denn dort lag auch Iunu. Zu Huys Freude nahmen die Sänften tatsächlich den Weg nach Süden. Die Straße war voll mit beladenen Eseln und Bauern, die Getreidesäcke auf dem Rücken trugen, denn es war der Monat Mechir, die Zeit der Aussaat und des schnellen Wachstums. Vor den Sänften schritt ein Diener von Mery-Neith und sorgte mit seinen Warnrufen dafür, dass sich der Strom der Menge teilte. Der Bürgermeister unterbrach das Gespräch immer wieder, um den einen oder anderen Passanten zu grüßen oder ihn etwas zu fragen. »Kennst du jedermann in Hut-Herib?«, fragte Huy.
Mery-Neith breitete die Arme zu einer umfassenden Geste aus. »Ich versuche, jedes Haus und jeden Bauernhof einmal im Jahr aufzusuchen. Ich kenne deinen Onkel Ker und stand auch schon einmal vor der Tür deines Vaters Hapu. Er hat ein Bier mit mir getrunken, schien sich aber nicht wohlzufühlen. Deine Mutter Itu ist sehr schön. Zu meiner ewigen Schande muss ich gestehen, dass ich deine Straße in den letzten beiden Jahren versehentlich ausgelassen habe, Meister.«
Die Zahl der Passanten nahm ab, und Huy konnte fließendes Wasser, Pflanzen und, weiter entfernt, Blüten riechen. Die Träger schwenkten abrupt nach rechts, gingen mehrere Stufen hoch und setzten die Sänfte ab. Trotz seiner Leibesfülle stieg Mery-Neith behände aus, und Huy folgte ihm.
Er befand sich mitten in einem Garten. Links von ihm war das breite Tor, durch das sie hereingekommen waren und das eine hohe, dicke Mauer teilte, die sich zu beiden Seiten bis außerhalb der Sichtweite erstreckte. Rechts waren die gleichfalls nackten Mauern eines Hauses zu sehen. Zwischen Tor und Haus verlief der kurze Pfad, auf dem sie abgesetzt worden waren. Zu beiden Seiten waren ungepflegte Blumenbeete, spärliche Grasbüschel, ein Seerosenteich mit schaumigem Wasser und mehrere schattenspendende Sykomoren und Akazien auszumachen.
Mery-Neith, der Huys Ausdruck sah, hob den Finger. »Urteile noch nicht. Schau, hier beim Tor ist ein Unterstand für die Wache und dahinter, jenseits der Uferstraße, befinden sich deine Anlegestufen. Die Haustür selbst ist, wie du sehen kannst, klein. Der Garten ist zwar seit dem Weggang des früheren Besitzers etwas vernachlässigt, aber er hält den Lärm der Straße vom Haus ab.« Ischat war gleichfalls ausgestiegen und kam zu ihnen. Zusammen folgten sie Mery-Neith durch die Holztür in das Haus. »Sie lässt sich von innen verriegeln«, erklärte er ihnen, aber sie hörten nicht zu. Beide waren bewundernd stehen geblieben.
Vor ihnen lag ein großer Empfangssaal mit einem schimmernden, schwarz-weißen Fliesenboden und drei kleinen Säulen in der Mitte, die mit Weinranken und Trauben sowie Vögeln in Rot-, Gelb-und Blautönen bemalt waren, die die Schnäbel zu unhörbarem Gesang geöffnet hatten. Unter den drei Fenstern oben an der Decke verlief ein Fries auf den getünchten Wänden, der den Fluss mit allen möglichen Arten von Fischen zwischen den Wellen zeigte. »Ich habe die Wände unterhalb des Frieses frisch weißeln lassen«, erklärte der Bürgermeister, »sodass ihr den Raum mit Bildern nach euren Wünschen bemalen könnt. Die Möbel stammen allesamt aus dem Lager des Palasts in Mennofer. Das hat der König angeordnet. Wenn sie euch nicht zusagen, werden sie ausgetauscht.«
Ischat lag auf den Knien und strich mit der Hand über die Fliesen. »Kein
Weitere Kostenlose Bücher