Der Seher
auszubooten, und die Republikaner haben niemand, also ist es der richtige Augenblick für ihn.«
»Das ist es wahrlich«, sagte ich. »Ich soll voll und ganz für ihn arbeiten?«
»Nur einen kleinen Teil deiner Zeit bis zum nächsten Herbst, dann, ab September ‘96 bis Wahltag ‘97, mit voller Kraft. Kannst du dich langfristig für uns freihalten?«
»Da geht’s um mehr als nur Beratung, Haig. Das heißt doch, in die Politik einsteigen.«
»Und?«
»Wozu brauch’ ich das?«
»Niemand braucht irgend etwas als ab und zu ein bißchen was zu essen und zu trinken. Der Rest ist Neigungssache.«
»Ich hasse die Politik, Haig, besonders Lokalpolitik. Ich habe schon genug davon mitbekommen, bei ein paar Projektionen, die ich für Politiker gemacht habe. Man muß soviel Mist schlucken. Man muß so viele häßliche Kompromisse eingehen. Man muß sich so viel…«
»Mann, wir bitten dich ja nicht, den Kandidaten zu machen. Nur, bei der Planung des Wahlkampfs zu helfen.«
»Nur. Ihr wollt ein Jahr meines Lebens, und…«
»Wie kommst du da drauf, daß Quinn sich mit einem Jahr zufrieden geben wird?«
»Du machst das sehr verführerisch.«
Nach einer kurzen Pause sagte Haig: »In der Sache liegen große Möglichkeiten.«
»Vielleicht.«
»Nicht vielleicht. Bestimmt.«
»Ich weiß, was du meinst. Trotzdem, Macht ist nicht alles.«
»Bist du dabei, Lew?«
Ich ließ ihn einen Augenblick lang zappeln. Oder er mich. Schließlich sagte ich: »Für euch ist der Preis vierzig.«
»Im Moment kann Quinn fünfundzwanzig zahlen; fünfunddreißig, sobald die Spenden reinkommen.«
»Und dann rückwirkend fünfunddreißig für mich?«
»Fünfundzwanzig jetzt, fünfunddreißig, wenn wir es uns leisten können«, sagte Mardikian. »Keine Rückwirkung.«
»Für was sollte ich finanzielle Einbußen hinnehmen? Weniger Geld für schmutzigere Arbeit?«
»Für Quinn. Für diese gottverdammte Stadt, Lew. Er ist der einzige Mann, der…«
»Sicher. Aber bin ich der einzige, der ihm dabei helfen kann?«
»Du bist der Beste, den wir kriegen können. Nein, das klingt falsch. Du bist der Beste, Lew. Punkt. Keine Schmeichelei.«
»Wie wird der Stab aussehen?«
»Die gesamte Kontrolle liegt bei fünf Schlüsselfiguren. Du wärst eine davon. Ich eine andere.«
»Als Wahlkampf-Manager?«
»Genau. Missakian ist Koordinator für Kommunikation und Medienkontakte. Ephrikian stellt die Verbindung mit den Verwaltungsbezirken her.«
»Was soll das bedeuten?«
»Er bereitet die Ämterbesetzung vor. Und Koordinator der Finanzen ist ein Bursche namens Bob Lombroso, der zur Zeit auf Wall Street sehr viel von sich reden macht; er…«
»Lombroso? Ein Italiener? Nein. Warte. Was für ein Geniestreich! Es ist euch gelungen, einen Wall-Street-Puerto zu eurem Geldmann zu machen.«
»Er ist Jude«, sagte Mardikian mit einem kleinen, trockenen Lachen. »Lombroso ist ein alter jüdischer Name, hat er mir erzählt. Wir haben ein fantastisches Team – Lombroso, Ephrikian, Missakian, Mardikian und Nichols. Du bist unser Orakel vom Dienst.«
»Woher weißt du, daß ich mit von der Partie bin, Haig?«
»Ich habe nie daran gezweifelt.«
»Woher weißt du es?«
»Meinst du, du wärst der einzige, der in die Zukunft sehen kann?«
9
So schlugen wir also zu Beginn des Jahres ‘96 im neunten Stock eines alten, verwitterten Gebäudes an der Park Avenue unser Hauptquartier auf, von dem aus wir einen wirklich großartigen Blick auf den bauchig gewölbten Mittelteil des PanAm-Hochhauses hatten, und wir gingen daran, Paul Quinn zum Bürgermeister dieser absurden Stadt zu machen. Schwer sah das nicht aus. Wir mußten lediglich die vorgeschriebene Anzahl qualifizierender Petitionen zusammenkriegen – ein Kinderspiel, New Yorker unterschreiben alles – und unseren Mann stadtweit genügend zur Schau stellen, so daß er vor den Vorwahlen in den fünf Bezirken bekannt war. Der Kandidat war attraktiv, intelligent, seiner Sache hingegeben, ehrgeizig und nur allzu offensichtlich fähig; wir mußten daher nicht erst ein Image zurechtmachen: keine Kosmetikarbeit an einem Plastik-Menschen.
Der Stadt war schon so oft ihr Untergang prophezeit worden, und sie hatte so oft neue Zuckungen unverkennbarer Vitalität gezeigt, daß der Klischeebegriff von New York als einer sterbenden Metropole schließlich aus der Mode gekommen war. Nur Dummköpfe oder Demagogen ritten noch darauf herum. Schon eine Generation zuvor hieß es, New York gehe zu Grunde, als die
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