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Der Seher

Der Seher

Titel: Der Seher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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egal, denn sie brachten die Stadt in Schwung wie nur irgendein ehrlicher Mann. Einige waren Stars, einige waren Katastrophen, und alle halfen sie, die Stadt voranzustoßen zu ihrem endgültigen Malheur. Und nun Quinn. Er versprach Größe; in ihm verbanden sich, so schien es, die Kraft und Vitalität eines Gottfried, der Glanz eines Lindsay und die Wärme und Menschlichkeit eines LaGuardia.
    So schickten wir ihn denn in die Vorwahlen der Neuen Demokraten gegen den unfähigen, hilflosen DiLaurenzio. Bob Lombroso melkte die Banken um Millionen, George Missakian stellte eine Reihe einfacher und direkter TV-Spots zusammen, in denen viele der Berühmtheiten auftauchten, die ich auf jener Party gesehen hatte; Ara Ephrikian handelte auf der Club-Ebene Ämter gegen Unterstützung, und ich erschien dann und wann mit schlichten projektiven Angaben im Hauptquartier, die nichts Tiefgründigeres sagten als geht auf Nummer sicher laßt euch auf einen Handel ein wir schaffen es.
    Alle erwarteten einen haushohen Sieg Quinns, und in der Tat gewann er die Vorwahlen mit absoluter Mehrheit gegenüber einem Feld von sechs Mitbewerbern. Die Republikaner fanden einen Bankier namens Burgess, der ihre Nominierung akzeptierte. Er war unbekannt, ein politischer Neuling, und ich weiß nicht, ob ihnen nach Selbstmord zumute war oder ob sie nur einfach realistisch waren. Eine Umfrage, die einen Monat vor der Wahl gemacht wurde, gab Quinn 83 Prozent der Stimmen. Die fehlenden 17 Prozent störten ihn. Er wollte sie alle und gelobte, seinen Wahlkampf persönlich zu den Wählern zu tragen. Seit zwanzig Jahren hatte hier kein Kandidat mehr die Autokolonnen-und-Händeschüttel-Routine mehr absolviert, aber er bestand darauf, die Warnungen eines ängstlichen, Attentate befürchtenden Mardikian in den Wind zu schlagen. »Wie hoch sind die Chancen, niedergeschossen zu werden, wenn ich einen Bummel über Times Square mache?« wollte Quinn von mir wissen.
    Ich registrierte keine Todesschwingungen für ihn, und das sagte ich ihm.
    Und ich sagte auch: »Aber ich wünschte, du würdest es nicht tun, Paul. Ich bin nicht unfehlbar, und du bist nicht unsterblich.«
    »Wenn in New York ein Kandidat nicht mehr zu den Wählern gehen kann«, erwiderte Quinn, »können wir die Stadt ebenso gut als Testgelände für eine Z-Bombe verwenden.«
    »Erst vor zwei Jahren wurde hier ein Bürgermeister umgebracht.«
    »Gottfried haben alle gehaßt. Wenn es einen Faschisten vom Eisernen Kreuz gab, dann war er einer. Warum sollte jemand mir gegenüber solche Gefühle haben, Lew? Ich werde hinausgehen.«
    Quinn ließ sich nicht abhalten und schüttelte Hände. Vielleicht half es. Er gewann den größten Wahlsieg in der Geschichte New Yorks, 88 Prozent aller Wählerstimmen. Am ersten Januar des Jahres 1998, einem für die Jahreszeit unpassend milden, fast floridahaften Tag, drängten sich Haig Mardikian, Bob Lombroso und wir anderen aus dem inneren Kreis dicht auf den Stufen zum Rathaus und sahen zu, wie unser Mann den Amtseid leistete. Eine vage Unruhe regte sich in mir. Was fürchtete ich? Ich könnte es nicht sagen. Vielleicht eine Bombe. Ja, eine schimmernde, runde, schwarze Comic-Strip-Bombe, die mit zischender Zündung durch die Luft pfiff und uns alle zu Mesonen und Quarks zerfetzte. Keine Bombe wurde geworfen. Warum so ein Schwarzseher, Nichols? Frohlocke! Ich blieb gereizt. Schultern wurden geklopft, Wangen wurden geküßt. Paul Quinn war Bürgermeister von New York, und allen ein glückliches 1998.
     
10
    »Wenn Quinn gewinnt«, sagte Sundara eines Abends im Spätsommer ‘97, »wird er dir dann einen Job in seiner Verwaltung anbieten?«
    »Wahrscheinlich.«
    »Wirst du annehmen?«
    »Ausgeschlossen«, sagte ich ihr. »Einen Wahlkampf zu leiten, macht Spaß. Tagtägliche Stadtpolitik ist entsetzlich langweilig. Ich werde zu meinen regulären Kunden zurückgehen, sobald die Wahl vorüber ist.«
    Drei Tage nach der Wahl ließ Quinn mich holen und bot mir den Posten eines Sonderberaters der Stadtregierung an, und ich akzeptierte, ohne zu zögern, ohne einen einzigen Gedanken an meine Kunden oder Angestellten oder an mein elegantes Büro mit all den datenverarbeitenden Maschinen.
    Hatte ich Sundara also an jenem Sommerabend angelogen? Nein, derjenige, den ich getäuscht hatte, war ich selbst. Meine Prognose war fehlerhaft, weil meine Selbsterkenntnis unvollkommen war. Was ich zwischen August und November lernte, war, daß Nähe zur Macht süchtig macht. Mehr als ein Jahr

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