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Der Seher

Der Seher

Titel: Der Seher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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vielleicht eine Chance gegen acht. Für die Wahl, eine gegen fünfzig.«
    »Nicht besonders gut.«
    »Nein.«
    »Gar nicht gut«, sagte Lombroso.
    Mardikian rupfte bestürzt an der Spitze seiner fleischigen, kaiserlichen Nase und sagte: »Willst du uns sagen, wir sollten das Ganze fallen lassen? Ist das deine Auswertung?«
    »Fürs nächste Jahr, ja. Vergeßt die Präsidentschaft.«
    »Wir sollen einfach aufhören?« sagte Ephrikian. »Wir sollen hier im Rathaus hocken bleiben und die ganze Sache einfach aufgeben?«
    »Warte«, murmelte Mardikian. Er blickte wieder mich an. »Wie sieht’s für Null-Vier aus, Lew?«
    »Besser, viel besser, sehr viel besser.«
    Ephrikian, ein stämmiger, schwarzbärtiger Mann mit modisch glattrasierter Kopfhaut, sah ungeduldig und gereizt aus. Mit finsterem Blick sagte er: »Gerade jetzt ist überall in den Medien groß davon die Rede, was Quinn alles in seinem ersten Jahr als Bürgermeister geleistet hat. Ich finde, das ist der richtige Augenblick, nach der nächsten Sprosse zu greifen, Lew.«
    »Ich stimme dir zu«, sagte ich freundlich.
    »Aber du sagst uns doch, daß er 2000 geschlagen werden wird.«
    »Ich sage, daß jeder, den die Neuen Demokraten aufstellen könnten, geschlagen werden wird«, erwiderte ich. »Jeder. Quinn, Leydecker, Keats, Kane, Pownell, jeder. Dies ist der richtige Augenblick für Quinn zuzugreifen, in Ordnung, aber die nächste Sprosse ist nicht notwendigerweise schon die höchste.«
    Missakian, gedrungen, präzise, schmallippig, der Public-Relations-Experte, der Mann mit dem klaren Blick, sagte: »Kannst du dich etwas genauer äußern, Lew?«
    »Ja«, sagte ich und schoß los.
    Ich legte ihnen meine nicht sehr riskante Prognose vor, daß, wer auch immer im Jahre 2000 gegen Präsident Mortonson anträte – höchstwahrscheinlich Leydecker – geschlagen werden würde. Amtierende Präsidenten werden in diesem Land nicht abgewählt, es sei denn, ihre erste Amtszeit wäre ein Desaster von Hooverschen Ausmaßen gewesen, und Mortenson hatte einen netten, sauberen, farblosen, schwerfälligen, durch nichts herausragenden Präsidenten abgegeben, so wie ihn viele Amerikaner mögen. Leydecker würde eine ansehnliche Herausforderung darstellen, aber es gab wirklich keine großen Streitfragen als Wahlkampfthemen, und er würde geschlagen werden. Möglicherweise schwer geschlagen, obwohl er eindeutig das Kaliber eines Präsidenten hatte. Es wäre also ratsam, so argumentierte ich, sich nicht in Leydeckers Weg zu stellen. Die Kandidatur sei ihm gegönnt. Jeder Versuch von Seiten Quinns, ihm die Nominierung im nächsten Jahr streitig zu machen, würde vermutlich sowieso fehlschlagen und Leydecker gewiß zu Quinns Feind machen, was nicht wünschenswert war. Laßt Leydecker die Ehre, laßt ihn bei dem Versuch, den unbesiegbaren Mortonson zu schlagen, in seinen Untergang rennen. Wir würden warten und den dann immer noch jungen, von keiner Niederlage befleckten Quinn im Jahre 2004 aufstellen, in dem die Verfassung Mortonson eine neuerliche Kandidatur verwehren würde.
    »Quinn soll sich also 2000 für Leydecker stark machen und sich dann auf seine Hände setzen?« fragte Ephrikian.
    »Mehr als das«, sagte ich. Ich sah zu Bob Lombroso hinüber. Er und ich hatten die Strategie schon diskutiert und Übereinstimmung erzielt; und nun begann Lombroso, indem er sich mit seinen mächtigen Schultern nach vorne neigte und die armenische Seite des Tisches mit einem eleganten, schwerlidrigen Blick streifte, unseren Plan zu umreißen.
    Quinn würde in den nächsten Monaten in die nationale Öffentlichkeit treten; gipfeln würde das in einer Reise durchs Land im Frühsommer ‘99 und einigen größeren Reden in Memphis, Chicago, Denver und San Francisco. Mit einigen soliden, publizitätsträchtigen Leistungen in New York hinter sich (Enklavensicherung, stromlinienförmige Erneuerung der Lehrpläne, De-Gottfriedisierung der Polizei), würde er anfangen, sich zu größeren Themen zu äußern, etwa dem regionalen Kernenergie-Austausch, der Wiedereinführung der aufgehobenen Privatsphären-Gesetze von 1982 und – warum nicht? – der Pflicht zur Ölgelierung. Im Herbst dann würde er einen direkten Angriff auf die Republikaner starten, nicht so sehr auf Mortonson selbst als vielmehr auf ausgesuchte Mitglieder von dessen Kabinett (besonders Energieminister Hospers, Informationsminister Theiss und Umweltminister Perlman). So würde er langsam eine nationale Figur werden, ein junger Politiker

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