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Der Seher

Der Seher

Titel: Der Seher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Aufstieg an. Das ist keine Unterstützung?«
    »Es ist für mich völlig belanglos, ob Paul Quinn je wieder eine Wahl gewinnt«, sagte Carvajal.
    »Wirklich?«
    »Seine Karriere bedeutet mir nichts. Sie hat mir nie etwas bedeutet.«
    »Warum haben Sie dann beschlossen, so hohe Summen zu seinem Wahlkampf beizusteuern? Warum sind Sie entschlossen, seinem Team nützliche Tipps über die Zukunft zukommen zu lassen? Warum sind Sie entschlossen…«
    »Entschlossen?«
    »Entschlossen, ja. Habe ich das falsche Wort gebraucht?«
    »Entschlüsse haben damit nichts zu tun, Mr. Nichols.«
    »Je länger ich mit Ihnen rede, desto weniger begreife ich.«
    »Entschlüsse implizieren Wahl, Freiheit, Willen. Solche Begriffe gibt es in meinem Leben nicht. Ich gebe Quinn Geld, weil ich weiß, ich muß, nicht, weil ich ihn anderen Politikern vorziehe. Ich bin im März in Lombrosos Büro gekommen, da ich Monate vorher sah, daß ich dort hinging, und wußte, daß ich an jenem Tag gehen mußte, egal, ob ich etwas anderes lieber täte. Ich lebe in dieser verfallenden Gegend, da mir niemals eine Vision vergönnt wurde, in der ich mich irgendwo anders wohnen sah; also weiß ich, daß ich hierher gehöre. Ich sage Ihnen, was ich Ihnen heute gesagt habe, weil mir diese Unterhaltung schon so vertraut ist wie ein Film, den ich fünfzigmal gesehen habe; also weiß ich, daß ich Ihnen Dinge sagen muß, die ich keinem anderen Menschen je gesagt habe. Ich frage niemals, warum. Mein Leben ist ohne Überraschungen, Mr. Nichols, und es ist ohne Entscheidungen, ohne Willen. Ich tue, was ich tun muß, und ich weiß, daß ich es tun muß, da ich gesehen habe, daß ich es tue.«
    Seine seelenruhigen Worte erschreckten mich mehr als irgendeine der wirklichen oder eingebildeten Schrecknisse auf der dunklen Treppe draußen. Nie zuvor hatte ich in ein Universum geblickt, aus dem freier Wille, Zufall, das Unerwartete, das Beliebige allesamt verbannt worden waren. Carvajal erschien mir als ein Mann, der von seiner Vision der unabänderlichen Zukunft hilflos, aber ohne zu klagen, durch die Gegenwart geschleift wurde. Das flößte mir Furcht ein, aber nach einem Augenblick war das betäubende Entsetzen verschwunden und sollte niemals wiederkehren; denn nachdem ich Carvajal zuerst als tragisches Opfer gesehen hatte, kam nun ein anderes, ein erhebenderes Bild, und darin sah ich Carvajal als einen Menschen, dessen Gabe die höchste Vollendung meiner eigenen darstellte, ich sah ihn als jemanden, für den es die Kapricen des Zufalls nicht mehr gab, da er ins Reich absoluter Vorhersagbarkeit eingetreten war. Durch diese Einsicht war ich unwiderstehlich zu ihm hingezogen. Ich fühlte, wie unsere Seelen einander durchdrangen, und ich wußte, ich würde nie wieder von ihm loskommen. Es war, als hätte jene kalte Kraft, die von ihm ausging, jene eisige Strahlung und Fremdheit, die ihn mir so widerwärtig gemacht hatten, nun ihr Vorzeichen umgekehrt und zögen mich zu ihm hin.
    Ich fragte: »Sie spielen immer die Szenen aus, die Sie sehen?«
    »Immer.«
    »Sie versuchen nie, das Drehbuch zu ändern?«
    »Nie.«
    »Weil Sie die Folgen fürchten?«
    Er schüttelte den Kopf. »Wie sollte ich mich vor irgend etwas fürchten können? Was wir fürchten, ist das Unbekannte, nicht wahr? Nein: Ich lese die Zeilen des Drehbuchs gehorsam, weil ich weiß, daß es keine Alternative gibt. Was für Sie wie die Zukunft aussieht, ist für mich eher wie die Vergangenheit, etwas bereits Erfahrenes, das ändern zu wollen müßig wäre. Ich gebe Quinn Geld, weil ich das schon getan habe und diesen Akt gesehen habe. Wie könnte ich sehen, daß ich gegeben habe, wenn ich in Wirklichkeit doch nicht gebe, sobald der Augenblick meiner Vision und der Augenblick meiner >Gegenwart< sich kreuzen?«
    »Machen Sie sich jemals Sorgen, daß Sie das Drehbuch vergessen könnten und das Falsche tun, wenn der Augenblick kommt?«
    Carvajal kicherte. »Wenn Sie ein einziges Mal sehen könnten, wie ich sehe, wüßten Sie, wie unsinnig diese Frage ist. Es ist nicht möglich, >das Falsche< zu tun. Es gibt nur >das Richtige<, das, was geschehen wird; schließlich geschieht es auch; ich bin ein Schauspieler in einem Drama, in dem es keinen Platz für Improvisationen gibt – wie Sie, wie wir alle.«
    »Und Sie haben nicht ein einziges Mal versucht, das Drehbuch umzuschreiben? Irgendeine kleine Einzelheit? Kein einziges Mal?«
    »O doch, mehr als einmal, Mr. Nichols, und nicht nur kleine Einzelheiten. Als ich jünger

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