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Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Titel: Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert L Stevenson
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ich hörte sie sogar in meinem Eßzimmer.«
    »Ein Wort«, versetzte der Anwalt, »Carew war mein Klient, so gut wie du es bist, und ich möchte wissen, was ich tun soll. Du bist doch nicht so wahnsinnig gewesen, diesen Burschen bei dir zu verstecken?«
    »Utterson, ich schwöre zu Gott«, rief der Doktor, »ich schwöre zu Gott, ich will ihn nie wiedersehen, ich verpfände dir mein Ehrenwort, daß ich auf dieser Welt nichts mehr mit ihm zu schaffen haben will. Alles ist zu Ende, und wahrlich, er braucht auch meine Hilfe nicht, du kennst ihn nicht so, wie ich ihn kenne, er befindet sich in Sicherheit, völlig in Sicherheit. Beachte meine Worte. Man wird nie mehr etwas von ihm hören!«
    Der Anwalt hörte traurig zu. Ihm mißfiel seines Freundes fieberhaftes Wesen. »Du scheinst seiner ziemlich sicher zu sein«, meinte er, »und um deinetwillen hoffe ich, daß du recht hast. Wenn es zu einer Gerichtsverhandlung käme, dürfte auch dein Name mit hineingezogen werden.«
    »Ich bin seinetwegen völlig ruhig«, erwiderte Jekyll, »ich habe für diese Sicherheit meine Gründe, die ich aber niemandem mitteilen kann. Aber einen Punkt gibt es, über den du mich beraten könntest. Ich habe - ich habe einen Brief erhalten; und ich bin im Zweifel, ob ich ihn der Polizei zeigen soll. Ich möchte ihn gerne deinen Händen anvertrauen, Utterson, du wirst schon das Richtige treffen, davon bin ich überzeugt. Ich habe so großes Vertrauen zu dir.«
    »Du fürchtest, wie ich annehme, daß der Brief zu seiner Entdeckung führen könnte?« erkundigte sich der Anwalt. »Nein«, sagte der andere, »ich kann nicht sagen, daß ich mir Sorgen mache, was aus Hyde wird. Ich bin mit ihm völlig fertig. Ich dachte dabei lediglich an meinen eigenen Ruf, der durch diese verhaßte Geschichte fast bloßgestellt ist.« Utterson sann eine Zeitlang nach. Der Egoismus seines Freundes überraschte und erleichterte ihn doch gleichzeitig. »Schön«, sagte er endlich, »laß mich den Brief sehen.« Der Brief war in seltsam steilen Schriftzügen gehalten und unterzeichnet »Edward Hyde«. Er erklärte bündig genug, daß »des Schreibers Wohltäter, Dr. Jekyll«, dem er seine tausend Wohltaten lange Zeit so unwürdig vergolten hätte, sich um seine Sicherheit keine Sorgen zu machen brauche, da er Mittel zur Flucht hätte, auf die er mit Zuversicht bauen könnte. Dem Anwalt war dieser Brief mehr als angenehm. Er ließ seines Freundes Intimität mit diesem Manne in einem weit besseren Licht erscheinen als bisher, und er tadelte sich sogar seines früheren Argwohns wegen.
    »Hast du den Umschlag?« fragte er.
    »Ich verbrannte ihn«, erwiderte Jekyll, »ohne mir zu überlegen, was ich tat. Er trug aber keinen Poststempel. Das Schreiben wurde abgegeben.«
    »Soll ich ihn behalten und die Sache erst einmal überschlafen?« erkundigte sich Utterson.
    »Ich möchte, daß du ganz und gar für mich entscheidest«, war die Antwort. »Ich habe jedes Selbstvertrauen verloren.« »Schön, ich will es mir überlegen«, entgegnete der Anwalt, »und jetzt nur noch ein Wort: War es nicht Hyde, der die Bestimmungen in deinem Testament über dein Verschwinden diktiert hat?«
    Der Doktor schien einer Ohnmacht nahe, er preßte die Lippen fest aufeinander und nickte.
    »Ich wußte es«, sagte Utterson. »Er wollte dich ermorden. Du bist noch gut davongekommen.«
    »Für mich bedeutet die Sache noch weit mehr«, erwiderte der Doktor feierlich, »für mich bedeutet sie eine Lehre; mein Gott, Utterson, welch furchtbare Lehre!« Und er bedeckte einen Augenblick sein Gesicht mit den Händen.
    Beim Hinausgehen blieb der Anwalt stehen und wechselte noch mit Poole ein paar Worte. »Was ich sagen wollte: Es wurde doch heute ein Brief abgegeben. Wie sah der Bote aus?« Aber Poole versicherte nachdrücklich, daß nichts gekommen wäre außer der Post. »Und auch diese brachte heute nur ein paar Drucksachen«, fügte er hinzu.
    Diese Mitteilung erneuerte des Besuchers Befürchtung. Offenbar war der Brief an der Laboratoriumstür abgegeben worden, möglicherweise war er auch in dem Arbeitszimmer selbst geschrieben. War das der Fall, dann mußte man ihn ganz anders beurteilen und mit größerer Vorsicht behandeln. Während er nach Hause ging, schrien sich die Zeitungsjungen noch immer auf der Straße heiser: »Extrablatt! Scheußlicher Mord an einem Parlamentsmitglied!« Das war der Grabgesang für seinen Freund und Klienten, und er konnte sich einer gewissen Vorahnung nicht erwehren, daß

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