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Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Titel: Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert L Stevenson
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zu bedeuten?« sagte er. »Henry Jekyll wird eines Mörders wegen zum Fälscher!« Und kalt kreiste das Blut in seinen Adern.

6. Merkwürdiges Erlebnis Dr. Lanyons
    Die Zeit verrann. Mehrere tausend Pfund wurden als Belohnung ausgesetzt; denn der Tod Sir Danvers' wurde als öffentliche Schmach empfunden. Aber Mr. Hyde war aus dem Gesichtskreis der Polizei entschwunden, als hätte er nie existiert. Vieles aus seiner Vergangenheit wurde ausgegraben, und alles war unehrenhaft: Gerüchte tauchten auf über des Mannes Grausamkeit, über seine Hartherzigkeitund seinen Jähzorn, über seinen gemeinen Lebenswandel, seinen seltsamen Umgang, über den Haß, den er auf Schritt und Tritt aussäte; doch über seinen gegenwärtigen Aufenthalt auch nicht ein Wispern. Von dem Augenblick an, da er an dem Morgen des Mordes sein Haus in Soho verlassen hatte, war er einfach wie ausgelöscht, und allmählich, je mehr Tage verstrichen, begann Mr. Utterson sich von der ersten Hitze seiner Aufregung zu erholen und innerlich ruhiger zu werden. Der Tod Sir Danvers' war nach seiner Ansicht durch das Verschwinden Mr. Hydes mehr als bezahlt. Jetzt, da der schlimme Einfluß aufgehört hatte, begann für Dr. Jekyll ein neues Leben. Er trat aus seiner Abgeschlossenheit heraus, frischte die Beziehungen zu seinen Freunden wieder auf und wurde von neuem der vertraute Gast und Gastgeber. Schon immer war er wegen seiner Mildtätigkeit bekannt, jetzt wurde er es nicht weniger wegen seiner Religiosität. Er war geschäftig, bewegte sich viel in freier Luft und tat Gutes. Sein Antlitz schien sich aufzuklären und zu strahlen wie im inneren Bewußtsein seines Wertes. Länger als zwei Monate lebte der Doktor so in Frieden.
    Am 8. Januar hatte Utterson in kleinem Kreise bei dem Doktor gespeist. Lanyon war dort gewesen, und der Blick des Gastgebers hatte wieder, wie in alten Tagen, als das Trio noch unzertrennlich war, bald auf dem einen, bald auf dem anderen geruht. Am 12. und auch am 14. blieb die Türe vor dem Anwalt verschlossen. Der Doktor hätte sich in dem Hause eingeriegelt, erklärte Poole, und sähe niemand. Am 15. versuchte Utterson es noch einmal und erntete wieder eine Ablehnung. Gewöhnt, in den letzten zwei Monaten seinen Freund fast täglich zu sehen, drückte diese Rückkehr zum Einsiedlertum schwer auf sein Gemüt. Am fünften Abend speiste er zusammen mit Guest und am sechsten begab er sich zu Dr. Lanyon. Dort wurde er wenigstens nicht abgewiesen, aber als er eintrat, erschreckte ihn die Veränderung, die in des Doktors Aussehen vorgegangen war. Der Stempel des Todes war deutlich seinem Gesichte aufgedrückt. Der blühende Mann war blaß geworden, Körper und Wangen waren eingefallen, und er erschien kahler und gealtert; und doch waren es nicht in erster Linie diese Anzeichen eines raschen körperlichen Verfalles, die des Anwalts Blick fesselten, sondern der Ausdruck seiner Augen und ein gewisses Etwas in seinem Wesen, das von einer tiefen inneren Angst zu zeugen schien. Es schien kaum glaublich, daß der Doktor den Tod fürchten sollte, und doch fühlte sich Utterson versucht, das anzunehmen. »Gewiß«, dachte er, »er ist Arzt und muß sich über seinen Zustand klar sein. Er muß wissen, daß seine Tage gezählt sind, und diese Erkenntnis ist mehr, als er zu ertragen vermag.« Als jedoch Utterson eine Bemerkung über sein schlechtes Aussehen machte, erklärte Lanyon mit einem Ausdruck großer Gefaßtheit, daß er ein verlorener Mann sei.
    »Ich habe einen Schreck gehabt, von dem ich mich nie wieder erholen werde. Es ist nur noch eine Frage von Wochen. Na gut, das Leben ist schön gewesen. Ich liebte es, ja ich liebte es wirklich! Manchmal aber denke ich, wenn wir alles wüßten, würden wir recht froh sein, es zu verlassen.«
    »Jekyll ist ebenfalls krank, hast du ihn gesehen?«
    Lanyons Gesicht wechselte die Farbe, und er hob eine zitternde Hand hoch. »Ich wünsche nie wieder etwas von Dr Jekyll zu sehen oder zu hören«, sagte er mit lauter, aber unsicherer Stimme. »Ich bin mit diesem Manne restlos fertig, und ich bitte dich, mich mit jeder Erwähnung eines Menschen zu verschonen, den ich bereits als tot betrachte.«
    »Aber, aber«, meinte Mr. Utterson, und dann, nach einer längeren Pause: »Kann ich nicht irgend etwas dabei tun? Wir drei sind doch so alte Freunde, denk ich. Wir werden kaum noch neue erwerben.«
    »Da läßt sich nichts tun, frage ihn selbst.«
    »Er will mich nicht sehen«, entgegnete der Anwalt. »Das überrascht

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