Der Sensenmann
einmal ein Einsehen mit mir. Die Detonationen der Schüsse kamen mir vor wie die Freudenrufe irgendwelcher Engel. Aus meiner liegenden Perspektive konnte ich sehen, wie der Hexenjäger unter den Einschlägen zusammenzuckte. Die wuchtigen Einschläge warfen ihn nach vorn. Ich wußte, daß ihn die Geschosse nicht töten konnten, aber ich hatte Zeit gewonnen. Auch sein Taumeln und der anschließende Fall konnten für mich tödlich enden. Deshalb sah ich zu, daß ich mich so rasch wie möglich aus der Gefahrenzone rollte.
Die Kreatur der Finsternis torkelte an mir vorbei. Das Blatt der Sense war nach unten gesunken und schleifte dabei wieder über die Pflastersteine hinweg.
Ich sprang auf.
Und jetzt hielt ich mein Kreuz in der Hand. Über den Kirchhof wehte noch der Ruf des Kommissars, der die Kugeln auf die Gestalt geschossen hatte.
Bedanken würde ich mich später. Jetzt war erst das Kreuz an der Reihe. Eine ultimative Waffe gegen die Kreaturen der Finsternis. Es würde dafür sorgen, daß sein erstes Gesicht zum Vorschein kam.
Einen Teil davon sah ich schon. Das Gewürm mußte sich im Schädel versteckt gehalten haben und begann aus ihn hervorzuquellen. Die Sense hatte er nicht mehr hochreißen können. Er hielt sie noch fest, aber die Klinge berührte bereits den Boden.
Ich sprang ihn an.
Es war der erste Körperkontakt zwischen uns beiden, und es sollte auch der letzte sein. Das Kreuz berührte ihn. Ich hörte seinen irren Schrei, dann gaben seine Knie nach, und er brach unter mir zusammen. Er fiel auf den Rücken. Ich ließ mich ebenfalls fallen und kniete plötzlich auf seiner Brust.
Der Angriff mit dem Kreuz hatte ihn so überrascht, daß er zu keiner Gegenbewegung mehr kam. Er starrte mich an, ich schaute zu ihm herab und sah auch das sich drehende und windende Gewürm auf seinem Kopf. Das Kreuz hielt ich in der linken Hand und brachte es so nahe wie möglich an sein Gesicht heran.
Die Formel der Aktivierung brauchte ich nicht zu sprechen. Seine normale Stärke reichte völlig aus. Es erwärmte sich nicht nur, sondern strahlte gleichzeitig einen scharfen Glanz ab. Es war ein besonderes Licht, entstanden, um das Dunkel der Hölle zu vertreiben.
Der Kopf des Sensenmanns badete in diesen Strahlen, so daß ich jede Einzelheit in seinem Gesicht sehen konnte und natürlich auch die Veränderung mitbekam.
Sein erstes Gesicht erschien.
Nicht wie ein Hologramm. Es war echt. Es schob das andere zurück. Die graue Haut mit ihren zahlreichen Falten, die Augen, der Mund und auch die Nase lösten sich zu einer weichen, breiigen Masse auf und wurden von dem überdeckt, was ich schon bei ihm auf dem Kopf gesehen hatte.
Diese Kreatur der Finsternis war einmal aus zahlreichen dicken, nassen und ekligen Würmern zusammengesetzt worden. So hatte er ausgesehen, und so kehrte er auch wieder zurück, um in der Kraft des Kreuzes vor meinen Augen zu vergehen.
Unter mir weichte auch der Körper auf. Ich stand auf und blieb neben ihm stehen.
Ich hörte keinen Laut mehr. Keinen Schrei, kein Stöhnen. Die Vernichtung lief in einer nahezu erschreckenden Ruhe ab, und der Körper breitete sich dabei aus.
Was einmal Haut, Fleisch und Knochen gewesen war, bestand nur noch aus Würmern, die einen grauen, zuckenden Teppich auf dem historischen Pflaster bildeten und dabei nach irgendwelchen Lücken suchten, in die sie verschwinden konnten.
Vor mir stand der Kommissar. Er hielt die Waffe noch in der Hand. Ihre Mündung zeigte ebenso zu Boden wie sein Blick. Dabei schüttelte er den Kopf.
»Danke«, sagte ich.
Uwe Hinz lachte. »Ich konnte einfach nicht im Haus bleiben, John. Manchmal ist es schon gut, wenn man sich nicht an gewisse Regeln hält.«
»Da hast du recht.«
Von dem Hexenjäger war nichts mehr übriggeblieben, abgesehen von seiner Kleidung – und der Sense. Der Kommissar bückte sich und hob sie an. »Ich werde sie mitnehmen und sicherlich einen Platz dafür in einem Museum finden.«
»Tu das.«
Uwe Hinz drehte sich um, die Sense geschultert. Er ging vor mir her wie der Sensenmann, doch das war er glücklicherweise nicht…
***
Über Sarahs Konstitution konnten wir uns nur wundern. Die Formalitäten erledigte Uwe Hinz, während die Horror-Oma und ich uns im Hotel ausruhen konnten.
Wir hatten versprochen, noch eine weitere Nacht zu bleiben, denn Uwe Hinz wollte uns noch sein Stammlokal zeigen, das >Spezial<, in dem es seiner Meinung nach die besten Würste und das leckerste Rauchbier der Stadt gab.
Auch die
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