Der Serienmörder von Paris (German Edition)
verschiedene Anstalten ein, darunter Fleury-les-Aubrais, Bagnères, Évreux und Rennes. Fünf Monate nach dem Waffenstillstand lag Petiot auf der psychiatrischen Station des Militärhospitals in Rennes. Sein Leiden diagnostizierte man als „mentale Instabilität im Zusammenhang mit Schlafwandeln, Melancholie und Depression, bestimmt durch eine suizidale Tendenz und Verfolgungswahn“. Petiot verließ die Armee im Juli 1919 und erhielt eine 40-prozentige Versehrtenrente, wurde aber im September 1920 vollständig krankgeschrieben. Untersuchende Ärzte glaubten, dass er arbeitsunfähig war, und schlugen daraufhin eine Einweisung mit „ständiger Überwachung“ vor.
Nach weiteren medizinischen Untersuchungen reduzierte man im März 1922 die Arbeitsunfähigkeit erneut auf 50 Prozent. Diese Diagnose wurde bei einer Nachuntersuchung im Juli 1932 bestätigt.
Bei der Einschätzung von Petiots psychischer Gesundheit befragten Ermittlungsbeamte der Armee verschiedene Familienmitglieder. Seine Großmutter Jeannquin Constance Bourdon erklärte ihnen gegenüber, dass man ihn in seiner Kindheit als „empfindlich und nervös“ hätte beschreiben können. Bis zum Alter von zehn oder zwölf Jahren war er Bettnässer und kotete ein. Nachts wollte er nicht schlafen, sondern immer „spazieren gehen“. Sein Onkel und Lehrer Vidal Gaston beschrieb ihn als einen „sehr intelligenten Jungen, der schnell verstand“, doch er fügte hinzu, dass er „ein bizarres Verhalten an den Tag legte“. Er bekam niemals Besuch von Freunden. Seitdem Gaston ihm bei den Abschlussprüfungen geholfen hatte, sah er Petiot kein einziges Mal mehr. Gastons Aussage nach konnte er „keine näheren Auskünfte über seinen psychischen Zustand geben“.
Der Armeeausschuss war damals nicht die einzige Institution, die den Patienten unter die Lupe nahm, denn Petiot hatte sich zu einem erstaunlich guten Medizinstudenten an der Universität von Paris gemausert und musste demzufolge ständig Prüfungen absolvieren. Nach der Entlassung aus dem Militär nahm er an einem Schnellkurs für Veteranen teil, der den ehemaligen Soldaten einen reibungslosen Wiedereintritt in das bürgerliche Leben ermöglichen sollte. In den ersten zwei Jahren studierte er Osteologie, Histologie, Anatomie, Biochemie, Physiologie und die Kunst des Sezierens. Sein drittes und letztes Jahr absolvierte er in Paris, er bestand die Prüfung am 15. Dezember 1921 mit Auszeichnung. In seiner Doktorarbeit Ein Beitrag zum Studium akuter progressiver Paralysen thematisierte er die „Landry’sche Paralyse“, benannt nach dem Arzt, der 1859 zuerst die Symptome der unterschiedlich verlaufenden Nervenkrankheit diagnostizierte.
Später kamen Zweifel an seinem Abschluss auf. Hatte er tatsächlich die Prüfungen nach einer so kurzen Studienzeit bestehen können? Der angesehene Psychiater Paul Gouriou drückte seine Skepsis aus und wies auf einen lebhaften Handel mit Doktorarbeiten ganz in der Nähe der Universität hin. Allerdings konnte er die Behauptung nicht mit Beweisen untermauern. Auch von anderer Seite kamen keine konkreten Anhaltspunkte. Der Dekan der medizinischen Fakultät der Universität von Paris bestätigte der französischen Polizei, dass bei Petiots Abschluss alles rechtens war. Ob er allerdings die darüber hinausgehende Belobigung für seine nur 26-seitige Arbeit, die von einem Arzt einige Jahre später als „sehr banal“ eingestuft wurde, verdient hatte, ist jedoch zweifelhaft.
Zumindest genoss Petiot damals einen Moment des Triumphs. Sein Vater organisierte aufgrund des Abschlusses ein Festessen, lieh sich dafür ein Silberbesteck von den Nachbarn und holte ein Service aus dem Schrank, das seit dem Tod der Mutter nicht mehr benutzt worden war. Der jüngere Maurice wartete voller Spannung auf die Rückkehr des Bruders, den er sehr verehrte. Petiot, immer noch der Meinung, dass sein Vater nicht viel auf ihn gehalten hatte, reiste pünktlich an und verhielt sich eher steif, kalt und distanziert. Er suchte nicht das Gespräch und beantwortete die meisten Fragen mit knappen Sätzen. Kurz bevor der Nachtisch serviert wurde, gab Petiot bekannt, dass er noch anderswo einen Termin wahrnehmen müsse, und verließ den Raum.
Der 25-jährige Marcel Petiot eröffnete die erste Praxis in der traditionsreichen Stadt Villeneuve-sur-Yonne, ungefähr 120 Kilometer südöstlich von Paris und ca. 40 Kilometer von Auxerre entfernt gelegen. Er bezog ein kleines Haus an der kopfsteingepflasterten Rue
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