Der Serienmörder von Paris (German Edition)
Carnot, das an einer Seite an die im gotischen Stil erbaute Kirche von Notre Dame angrenzte, deren Bau Papst Alexander 1163 zu Ehren von Ludwig VII. initiiert hatte. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich das „Haus der sieben Köpfe“, ein Wohnhaus mit gespenstischen, aus Marmor gemeißelten Köpfen, angebracht über den Fenstern des zweiten Stockwerks.
Petiot hatte sich das kleine Städtchen ausgesucht, da es in der Nähe seines Zuhauses lag und dort wenig ansässige Ärzte praktizierten. Tatsächlich waren es nur zwei Kollegen, nicht mehr weit von der Rente entfernt. Petiots Anzeigen und Flugblätter, die er kurz nach der Ankunft platzierte, stellten sein Talent zulasten der Rivalen heraus. „Dr. Petiot ist jung, und nur ein junger Arzt kann die neuesten Methoden umsetzen, die durch den Fortschritt entstehen, einen Prozess, der mit Riesenschritten vorwärts drängt.“ Petiot versprach, die Patienten zu behandeln und nicht auszubeuten. Schon bald lief die Praxis mehr als zufriedenstellend und zog unterschiedlichste Patienten an, die alle seine Arbeit lobten.
Der junge Arzt war liebenswürdig, höflich und charmant. Er konnte gut zuhören und schien laut Aussagen vieler Patienten eine außergewöhnliche Fähigkeit bei der Diagnose verschiedenster Krankheiten zu besitzen. „Ich weiß genau, was Sie meinen“, sagte er häufig. „Mir ist klar, was Ihnen fehlt“, lautete eine weitere Antwort, wenn er die Beschwerden des Patienten mit erstaunlicher Treffsicherheit beschrieb. Ein ständig wiederkehrendes Gerücht besagte, dass er ein kleines Mikrofon unter dem Tisch im Wartezimmer versteckte hatte. Petiot tröstete die Patienten mit seinen beinahe schon unheimlichen diagnostischen Fähigkeiten und überzeugte viele Einwohner Villeneuve-sur-Yonnes davon, dass er der beste Arzt in der Stadt war.
Madame Husson erklärte später, wie er mit Hilfe einer selbst hergestellten Salbe ein Geschwür an der Stirn eines Kindes entfernt habe, das bis zu diesem Zeitpunkt auf keine Behandlung reagiert hätte. Monsieur Fritsch erinnerte sich an Petiot, dass er angeboten habe, einen seiner Nachbarn zu behandeln, bei dem eine unheilbare Krankheit diagnostiziert worden sei. Petiot habe behauptet, ein neues, riskantes Medikament zu kennen, das sich noch im Erprobungsstadium befand. Es verspreche Heilung, könne aber genauso gut den Tod bringen. Er habe gefragt, ob der Patient es auf einen Versuch ankommen lassen wolle, und dieser habe natürlich den sich ihm bietenden Strohhalm gegriffen und dann noch ein Viertel Jahrhundert lang gelebt.
Der junge Arzt engagierte sich zunehmend intensiver in seinem Beruf. Er öffnete die Praxis sogar am Sonntag, und zwar für Arbeiter, die ihn unter der Woche nicht konsultieren konnten, er machte Hausbesuche und fuhr auf dem Fahrrad lange Wege, um Kranke zu behandeln, speziell Kinder. Er gewährte älteren oder ärmeren Patienten Preisnachlässe und verzichtete in einigen Fällen komplett auf sein Honorar. Weltkriegsveteranen zahlten weniger, wenn sie überhaupt etwas entrichten mussten. Schon bald nannte man Petiot den „Arbeiterarzt“ oder den „Arzt der einfachen Leute“. Bald stieg er von seinem Fahrrad auf einen gelben Sportwagen um, einen Renault 40 CV. Im Laufe der nächsten Jahre legte sich Petiot zahlreiche Fahrzeuge zu, darunter ein Amilcar, ein Salmson und ein Butterosi.
Er genoss seinen Erfolg. Petiot speiste regelmäßig im Hôtel du Dauphin in der Rue Carnot, vertiefte sich in die Geschichte seiner Wahlheimat und las Bücher ihrer berühmtesten Bewohner, etwa des Philosophen Joseph Joubert oder von François-René de Chateaubriand, einem Dichter der Romantik. Er sang, beschäftigte sich mit Bildhauerei, malte, spielte Schach und gewann in einem Jahr sogar ein Dame-Turnier. Voller Stolz trug er seine Krawatten, die einzigen Modeartikel, die er sich gönnte, und begab sich oft auf nächtliche Spaziergänge, meist in einen schwarzen Mantel gehüllt und den Hut über die Augen gezogen.
Trotz aller Erfolge stieß das Verhalten des dreist anmutenden jungen Arztes auf Widerstände und Besorgnis in der Bevölkerung. Die Bekanntgabe der Praxiseröffnung wurde von den Kollegen als unverfroren und würdelos empfunden. Hinzu kam noch, dass er sich auf Kosten der anderen Ärzte etablierte, was auf eine noch größere Missgunst stieß. Petiots Hang, starke und unorthodoxe Medikamente zu verschreiben, machte den Apothekern von Villeneuve-sur-Yonne Sorge. Dr. Paul Mayaud nannte seine
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