Der Serienmörder von Paris (German Edition)
verstecken.
Anfang Februar 1944 fuhren zwei auf Hochglanz polierte schwarze Automobile vor ein kleines Haus in Joigny, das an der Yonne lag. Marcel Petiot zählte zu den Insassen. Ihn begleiteten sechs Männer in schicken Anzügen, die kitschige und farbige Ringe an jedem Finger trugen. Sie fanden sich zur Beerdigung von Céline Petiot ein, einer entfernten Cousine des Arztes, die arm, zurückgezogen und kinderlos gelebt hatte.
In dieser Nacht bot sich Petiot an, die Totenwache zu übernehmen, während die große Familie der Verstorbenen sich ausruhte, was wegen der langen Anreise dringend nötig war. Als die Verwandten sich in der Küche zu einem leichten Essen versammelten, betrat der Arzt den Raum, in dem er die Nacht vor dem Sarg verbringen sollte. Er hatte zwei große Koffer mitgebracht, die fast aus allen Nähten platzen.
Am nächsten Morgen trafen die Träger ein und entdeckten, dass der verschlossene Sarg außergewöhnlich schwer war. Unmittelbar nach dem Begräbnis stiegen Petiot und seine Entourage in ihre Autos und rasten förmlich davon. Beim vorhergehenden Verladen muteten die Koffer des Arztes sehr leicht an. Einer der Trauergäste war äußerst neugierig, was Petiot denn wohl im Grab versteckt hatte. Einige Monate darauf, im Herbst der Befreiung Frankreichs, entschied er sich nachzusehen. Mit einem Freund schlich er sich in der Nacht auf den Friedhof und entfernte die Grabplatte. Die beiden machten sich mit Schaufel und Spitzhacke ans Werk. Dann öffneten sie den faulenden Sarg. Kein Schatz. Aber auch kein Skelett. Rein gar nichts. Der Meinung der Grabschänder zufolge hatte sie jemand um die Beute betrogen.
Die Frage, ob Petiot das Vermögen, oder wahrscheinlicher einen Teil davon, im Grab der Verwandten verbarg, ist schwer zu beantworten. Das kleine Begräbnis auf dem Lande deutet allerdings auf einige Ungereimtheiten hin. Niemand hat seine Entlassung aus dem Gestapo-Gefängnis in Fresnes jemals zufriedenstellend erklärt. Angaben, wie die von Jodkum gemachten, dass die Gestapo ihn angeblich für 100.000 Francs und aufgrund vermeintlichen Wahnsinns entlassen hat, wirken eher unglaubwürdig. Plausibler erscheint es, dass er einen Fürsprecher gehabt hat. Doch falls das der Fall war: Wer war diese Person? Warum hatte der ihn Schützende überhaupt zugelassen, dass man ihn festnahm, von der achtmonatigen Haftstrafe und der Folter ganz abgesehen?
Der Zeitpunkt der Beerdigung und die Anwesenheit der fremden Männer legen darüber hinaus die Theorie nahe, dass die Gestapo-Männer der Dienststelle IV B-4 Petiot freiließen, um ihn zu verfolgen und zwar nicht, wie er bei seiner Vernehmung behauptete, weil sie die ominösen Résistance-Kameraden verhaften wollten, sondern um des Schatzes habhaft zu werden. Mitglieder der Gestapo nutzten manchmal ihre Autoritätsstellung zur eigenen Bereicherung aus – das ist unstrittig. Bedenkt man die Tatsache, dass Petiot ein wahres Vermögen angehäuft hat, ist es schwer vorstellbar, dass sie nicht versuchten, die Beute einzustreichen. Eine läppische Summe hätte gereicht, um den Insassen aus der Haft zu entlassen, woraufhin ihm Jodkums Männer gefolgt wären, um gleichsam den Schatz zu heben. Jodkum spekulierte sicherlich darauf, als er mit der Ermittlung gegen Dr. Eugènes Fluchthilfeorganisation begann.
Möglicherweise lässt dieser Versuch, das Vermögen zu verstecken, Rückschlüsse auf ein weiteres ungelöstes Rätsel im Fall Petiot zu: Die von der Wand entfernten Paneele, das aufgerissene Parkett, die aufgeschlitzten Sofas und die Löcher in der Wand, die man in der Rue Le Sueur entdeckte, als die französische Polizei am 11. März 1944 das Haus betrat (und auch später, als sich in der Rue des Lombards in Auxerre ein ähnliches Bild bot). Waren das alles Hinweise auf Bemühungen, an Petiots verstecktes Vermögen zu gelangen?
Doch wer steckte dahinter? Die Gestapo? So erstaunlich es klingen mag – bedenkt man die Verhöre und die Versuche, Petiot nach der Freilassung zu verfolgen –, so gibt es keinen eindeutigen Beweis, dass Jodkum und seine Schergen von dem Haus in der Rue Le Sueur vor dem 11. März gewusst haben. Doch eine andere Person musste davon gewusst haben, und das führt uns zu den hochgradig suspekten Männern zurück, die Petiot zum Begräbnis begleiteten. Offensichtlich boten sie ihm Schutz, wie auch einer von ihnen zugab. Ihre Identität war ein klarer Hinwies darauf, dass Petiot tatsächlich – egal, was immer es war – sehr wertvolle
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