Der Serienmörder von Paris (German Edition)
nicht exakt in der unteren Lünette gelegen, wodurch er nicht genau abgetrennt worden war. Einer der Assistenten hatte den Kopf mit aller Kraft und einem Hebeleffekt abreißen müssen, wobei er an den Haaren und den Ohren gezogen hatte. Augenzeugen berichteten von wahren Blutfontänen, überquellenden Augen und dem unheimlichen, pfeifenden Geräusch oder Krächzen, das nach dem Bericht des Anwesenden Tennyson Jesse entstand, wenn „der letzte Atemzug den Lungen entweicht“. Das Publikum hatte nach vorne gedrängt, um die Taschentücher in das Blut zu tupfen, als wäre aus dem Mörder ein Heiliger geworden. Daraufhin hatte sich die Regierung entschieden, zukünftige Hinrichtungen in aller Abgeschiedenheit und ohne Publikum zu vollstrecken.
Nun, sieben Jahre nach dem Desaster, bereitete sich Desfourneaux auf Petiots Exekution vor. Er stand vor einer Reihe von Problemen. Die Guillotine war bei den Angriffen der alliierten Bomber stark beschädigt worden, und er benötigte dringend Geld, um sie zu reparieren. Als man ihm das verweigerte, ging er in Streik. Einige Kritiker wollten nicht nur, dass er durch die Ablehnung der Kostenübernahme der Regierung zu einem Streik genötigt, sondern sogar seines Amtes enthoben wurde, da Desfourneaux während des Krieges einige Führer der Résistance auf Befehl der Deutschen exekutiert hatte. Sein Assistent Valet war im Gegensatz dazu für die Résistance tätig gewesen und hätte einen höheren Dienstgrad bekleidet, wäre da nicht das veraltete Vererbungsreglement gewesen.
Die Unterstützer Desfourneaux’ erinnerten seine Kritiker an den Paragraphen 327 des französischen Strafgesetzbuches, der den Scharfrichter von jeglicher persönlicher Verantwortung bei der Vollstreckung staatlich angeordneter Hinrichtungen entband. Vielleicht ließe sich die ganze Diskussion umgehen, wenn man ein Erschießungskommando einsetzte, wie einige anregten. Petiot, der sich einen Spaß aus den komplizierten Exekutions-Versuchen des Staates machte, witzelte, er würde lachend sterben.
Am Morgen des 25. Mai, einem Samstag, erreichten Desfourneaux und drei Assistenten den Innenhof des Gefängnisses de la Santé – mit einem alten Pferdeanhänger, auf dem sie ihre Ausrüstung transportierten. Sie errichteten die Guillotine schnell und ruhig. Die fast fünf Meter hohen Seitenstreben, mit sorgfältig abgeschmierten Führungsschienen, wurden am Boden festgehämmert. Das schwere dreieckige Fallbeil war zuvor sorgfältig geschärft worden und wurde nun am Gegengewicht befestigt, um sicherzugehen, dass es im richtigen Moment fiel.
Die Chambre Criminelle de la Cour de Cassation hatte Petiots Berufung abgewiesen. Floriot traf sich daraufhin mit dem Präsidenten Frankreichs, Félix Gouin, doch schon bald stellte sich heraus, dass dieser keinen Gnadenerlass aussprechen würde. Nach einem ersten fehlgeschlagenen Testversuch am 24. Mai, bei dem die Guillotine nicht funktioniert hatte, verlegte man die Vollstreckung des Urteils auf den folgenden Morgen. Um 4.10 war alles bereit.
Vier Wagen fuhren durch die Gefängnistore. Die Delegation bestand aus Floriot, Dupin, Paul, Gollety, Floriots Assistenten Eugène Ayache, Golletys Schriftführer Charles Schweich und Beamte der Polizei, des Gerichts und des Gefängnisses. Président Leser, der nicht persönlich erschien, entsandte einen Stellvertreter und einen der Richter des Prozesses, Magistrate Meiis. Floriots Assistent Paul Cousin ließ sich mit der Begründung entschuldigen, er sei nicht in der Lage, der Hinrichtung beizuwohnen.
Kurz vor 4.45 Uhr betrat die Delegation Zelle 7 im siebten Block. Petiot wirkte erstaunlich ausgeruht, als hätten die Handschellen, das Fußeisen und der Schatten der Guillotine seinen Schlaf nicht gestört. „Petiot, seien Sie tapfer“, sagte Dupin. „Die Zeit ist gekommen.“ Petiot beschimpfte ihn daraufhin.
Dupin fragte den Arzt, ob er noch einen letzten Wunsch habe. Dieser erbat sich Zeit, um seiner Frau und dem Sohn einen Abschiedsbrief zu schreiben. Man entfernte die Handschellen und Fußfesseln. Daraufhin zog Petiot den grauen Nadelstreifenanzug an, den er beim Prozess getragen hatte, setzte sich an den kleinen Tisch neben der Pritsche und begann zu schreiben. „Wie lange wird er wohl schreiben?“, fragte Meiis Dr. Paul, der sich daran erinnerte, dass einige Häftlinge dafür Stunden benötigten. Die Delegation wartete. 20 Minuten später, als er fertig war, warf Petiot einen Blick auf Gollety, der so blass aussah, als
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