Der Sichelmoerder von Zons
fuhr sie sich mit den Händen durch ihre langen, lockigen Haare. Es war eine Verlegenheitsgeste, die sie sich schon als kleines Mädchen angeeignet hatte. Anna war mit Leib und Seele Bankerin. Aber sie reizte nicht nur das Geld, vielmehr brauchte sie es, um sich ihren großen Traum von einem eigenen Garten endlich erfüllen zu können. Sie liebte Blumen und die wollte sie gerne auf ihrem eigenen Grund und Boden pflanzen, einen Platz haben, der nur ihr gehörte und an dem sie zu Hause war. Spätestens seitdem sie um ein Haar dem Puzzlemörder entkommen war, hatte sie sich das fest vorgenommen. Dieses Jahr musste sie unbedingt ihren Bonus erhalten, um sich ein Appartement mit eigenem Garten leisten zu können. Wie sollte sie das nur anstellen?
Plötzlich spukten ihr wieder Gedanken an Bastian Mühlenberg durch den Kopf. Bis zum heutigen Tage hatte sie sich sein Erscheinen nicht erklären können. Ihre beste Freundin Emily hielt dies alles für Einbildung, hervorgerufen durch starken psychischen Stress. Aber Anna war sich sicher, dass sie ihn wirklich kennengelernt hatte. Seit dem Abend, an dem er sich mit ihr vor dem Mühlenturm in Zons treffen wollte, hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Sie vermisste ihn oder vielmehr das, was aus ihnen beiden hätte werden können, wenn er bloß real gewesen wäre.
Ihr Telefon klingelte schrill und Anna fuhr hoch.
„Schätzchen, wie geht´s dir?“, fragte Jimmy mit betont tiefer und verführerischer Stimme.
„Ich habe gerade von Tom gehört, dass ihr die neuen Yen-Swaps an den Mann bringen sollt?“
„Ja, Jimmy, da hast du richtig gehört. Wahrscheinlich habt ihr wieder mal auf das falsche Pferd gesetzt und wir dürfen es jetzt ausbaden!“
„Mal langsam, Schätzchen. Reg dich nicht auf!“, säuselte Jimmy ins Telefon hinein.
„Ich habe da einen guten Tipp für dich. Wie wäre es mit einem Lunch heute oder morgen?“
Anna verdrehte die Augen. Typisch Investmentbanker, immer auf der Suche nach dem nächsten Abenteuer, andererseits hatte Jimmy ihr schon oft aus der Klemme geholfen. Er hatte wahnsinnig viele Kontakte und vielleicht konnte er ihr einen Kunden empfehlen, für den dieser neue Swap sinnvoll war.
III
Vor fünfhundert Jahren
Eine schiere Ewigkeit schien vergangen zu sein. Das Wasser tropfte stetig von dicken Mauern des Gewölbes hinab und machte aus den eigentlich sommerlichen Temperaturen ein kaltes, nasses und unerträgliches Klima. Er zitterte am ganzen Körper. Tief in seinem Innersten hatte er schon gehofft, dass sein Peiniger ihn hier unten vergessen hatte und dass er einfach vor lauter Durst und Erschöpfung ohnmächtig werden und dann schmerzlos und sanft in die erlösenden Arme des Todes fallen würde. Doch auf einmal löste sich vor seinen Augen fast unmerklich eine dunkle Gestalt von der Felsmauer und schritt langsam und bedächtig auf ihn zu. Die Gestalt erschien riesig und baute sich wie ein großer, schwarzer Schatten vor ihm auf. Es war so dunkel, dass er nur die Umrisse erkennen konnte. Wie lange hatte er ihn wohl schon beobachtet?
„Non loqueris contra proximum tuum falsum testimonium“, flüsterte der Schatten plötzlich heiser und im selben Moment sauste eine Gerte durch die Luft und fiel klatschend auf seine zitternde Haut nieder. Er erinnerte sich an diesen Satz. Er stammte aus der Bibel. Es war das achte Gebot. Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.
Der Schatten nahm brutal sein Kinn in die mit grobem, harten Leder behandschuhte Hand. Er blickte in das namenlose schwarze Gesicht, welches von einer dunklen Kapuze umrandet wurde.
„Ich hatte dir aufgetragen, Buße zu tun!“, dröhnend erhob die schwarze Gestalt jetzt die raue Stimme.
„Doch du hast weiter gesündigt, ohne dich um die Wünsche deines Herrn zu scheren!“
Verzweifelt versuchte er seinen Kopf zu schütteln. Nein, das stimmte nicht. Er hatte nicht gesündigt. Doch die schwarze Hand hielt sein Kinn so fest, dass er sich nicht rühren konnte und bis auf einen dumpfen Laut kam kein Ton aus seiner Kehle. Seine Hände rissen an den Fesseln, doch durch die vielen Bewegungen verletzte er sich nur selbst immer mehr an den Nägeln des Stuhles, die beharrlich tiefer in sein wundes Fleisch eindrangen. Panisch hämmerte sein Herz in der Brust. Schweiß lief über seine Stirn hinab. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er in das schwarze Gesicht des Fremden und versuchte seine Unschuld zu beteuern. Er hatte nichts getan! Er hatte nicht gelogen!
Wie
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