Der Sichelmoerder von Zons
ein Pfeil schoss in dieser Sekunde die Erinnerung durch sein Gehirn. Er hatte gelogen! Doch es waren keine schlimmen Lügen! Aber er hatte nicht Buße getan! Ja, durchfuhr es ihn. Er hatte nicht Buße getan, wie es ihm aufgetragen worden war. Aber er hatte doch gezahlt. Der Ablassbrief lag unter seinem Kopfkissen! Dieser Kerl hier durfte ihn nicht bestrafen! Er hatte doch alles richtig gemacht!
Der unheimliche Mund der Schattengestalt rückte jetzt ganz dicht an sein Ohr: „Du hast nicht Buße getan, so wie ich es dir aufgetragen habe. Nun lässt Gott der Herr dich Buße tun durch meine Hand, denn ich bin sein Vollstrecker!“
Mit diesen Worten rückte das Böse von ihm ab und der Raum wurde plötzlich durch flackerndes Kerzenlicht erhellt. Er schloss seine Augen, um sie vor dem grellen Licht zu schützen.
„Sieh her!“, zischte der Fremde und er gehorchte augenblicklich.
Der Mann in der schwarzen Kutte hielt ein Tongefäß in seiner rechten Hand. Die linke Hand stieß ein angespitztes Holzstöckchen in das Gefäß hinein und ein wabbeliges blutrotes Fleischstück kam zum Vorschein.
Kaltes Entsetzen durchzuckte ihn, als er in dem Fleischstück eine Zunge erkannte. Die Gestalt nickte und grinste ihn an.
„Ja, Sünder. Du siehst richtig. Dies hier ist deine Lügenzunge. Ich habe sie eingelegt und haltbar gemacht, damit das Zeugnis deiner Sünde auf ewig sichtbar bleibt, während du im Fegefeuer brennen wirst!“
Panisch schüttelte er den Kopf. Sein Fleisch schmerzte, doch durch seine Blutbahn schoss soviel Adrenalin, dass er den Schmerz kaum noch wahrnahm. Sein Fokus war einzig und allein auf den schwarzen Mann in der Kutte vor ihm und seiner abgetrennten Zunge gerichtet. Wieder dachte er an den Ablassbrief unter seinem Kopfkissen und als ob der Fremde seine Gedanken lesen konnte, antwortete dieser:
„Glaubst du, du kannst Geld gegen Buße tauschen?“ Fast in versöhnlichem Ton fuhr er fort: „Weißt du denn nicht, dass deine Beichte vollständig und dein Herz recht zerknirscht sein muss um Gottes Vergebung zu erlangen? Außerdem musst du gute Werke tun!“
Der schwarze Schatten stellte den Tonkrug mit der abgeschnittenen Zunge auf dem Boden ab und baute sich dann erneut vor ihm auf. Mit einem Ruck wurden seine Haare gepackt und sein Kopf gewaltsam nach hinten gerissen. Seine Kehle lag offen und schutzlos nach oben gereckt vor dem Fremden.
„Du wirst solange in der Hölle schmoren, wie deine Zunge nicht zu Staub zerfallen ist! Da ich sie haltbar eingelegt habe, wird es eine Ewigkeit sein! Und jetzt stirb, Sünder!“
Mit diesen Worten holte die dunkle Gestalt eine goldene Bogensichel aus ihrer Kutte hervor und schnitt ihm in einer einzigen fließenden Bewegung die Kehle durch.
Ein letzter Gedanke raste durch seinen Verstand, während das Blut in einer hohen Fontäne aus seiner Halsschlagader schoss und ihm langsam schwarz vor Augen wurde.
„Ich bin kein Sünder und mein Name ist Conrad!“
...
Bastian und Wernhart saßen gemütlich bei einem Becher Met in der kleinen Zonser Schenke „Zur alten Henne“. Über dem Feuer brutzelte saftiges Fleisch. Es hing ein so herrlicher Duft in der winzigen Stube, dass Bastian das Wasser im Mund zusammenlief. Er konnte es kaum erwarten, endlich einen kräftigen Bissen von diesem wundervollen Braten in seinen ausgehungerten Magen hinunterzuschlingen. Noch vor ein paar Stunden war er mit Wernhart durch ganz Zons spaziert und hatte sich davon überzeugt, dass kein weiteres Haus eingestürzt war. Bis auf den riesigen Wehrturm, der fast wie ein Kartenhaus vor Bastians Augen zusammengefallen war und dem ellenlangen flachen Graben war nichts passiert. Er nahm einen großen Schluck Met und richtete dabei seine Augen erneut sehnsüchtig in Richtung des Feuers. Ein plötzlicher Luftzug ließ die Flammen kurz höher schlagen. Bastian wandte den Kopf in Richtung Tür und erblickte den Arzt Josef Hesemann. Dieser durchsuchte mit seinen Augen die kleine, verwinkelte Stube, entdeckte Bastian und durchschritt mit schnellen Schritten den Raum.
„Seid gegrüßt! Ich bin auf der Suche nach Conrad. Habt Ihr ihn gesehen?“
„Nein, aber setzt Euch doch zu uns und leistet uns Gesellschaft.“
Josef nickte und nahm Platz. Conrad war sein Vetter. Er lebte als Mönch im Kloster Knechtsteden, war aber oft in Josefs Haus zu Gast und half, die Kranken zu betreuen und zu trösten.
„Lasst es Euch schmecken!“, mit diesen Worten stellte der Wirt eine große
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