Der Sichelmoerder von Zons
geöffnet und jemand trat ein. Emilys Herz pochte bis zum Hals. Sie konnte hören, wie die Schritte die Toilette durchquerten. Dann vernahm sie, wie das Toilettenfenster geschlossen wurde und sich die Schritte wieder entfernen. Erleichtert atmeten Anna und Emily auf. Das war knapp.
Anna blickte auf die Uhr. Seit zehn Minuten hatte das Kreismuseum jetzt geschlossen. Sie lauschten angestrengt, konnten jedoch keine Laute mehr vernehmen. Sie warteten noch weitere fünf Minuten ab, bis sie sich sicher waren, dass niemand mehr im Museum war. Dann schlichen sie sich leise aus der Toilette heraus und liefen schnurstracks in den Keller. Emily hatte vorher alle Pläne auswendig gelernt und bewegte sich mühelos durch die verschiedenen, dunklen Gänge. Sie war so geschickt und schnell unterwegs, dass Anna Mühe hatte, ihr zu folgen. Der Keller roch muffig und überall standen in Tücher verhüllte Exponate herum. Das Licht ihrer Taschenlampen bewegte sich huschend über den Kellerboden und verstärkte die unheimliche Atmosphäre.
Emily blieb stehen. „Hier muss es sein.“ Mit ihrer Taschenlampe leuchtete sie auf ihren Plan und tippte mit dem Zeigefinger auf ein rotes Kreuz. Sie lief drei Schritte nach links und blieb vor einer rostigen, mit Spinnenweben bedeckten Tür stehen. Dann versuchte sie, den riesigen Hebel – welcher statt einer Türklinke auf dem schmutzigen Metall angebracht war – hochzudrücken. Der Hebel bewegte sich keinen Millimeter.
„Anna, hilf mir mal. Das Ding ist festgerostet!“
Gemeinsam versuchten sie den Hebel mit aller Kraft zu bewegen, doch ohne Erfolg. „So wird das nichts. Vielleicht ist der Hebel festgestellt und muss erst entriegelt werden“, murmelte Anna und leuchtete die Tür mit ihrer Taschenlampe ab. Dann tastete sie vorsichtig an der Innenseite des Hebels entlang und spürte einen kleinen Nippel, den sie mit einem leisen Klicken nach unten schob.
„Das war es“, freute sich Anna und drehte den Hebel nach oben. Die Tür öffnete sich und ein kalter feuchter Luftschwall schlug ihnen aus dem dahinterliegenden Dunkel ins Gesicht. Emily blickte auf die Karte.
„Wir müssen noch tiefer nach unten kommen. Dies hier ist nur ein weiteres Kellergewölbe.“
Sie stocherte mit ihren Zehenspitzen auf dem staubbedeckten Boden herum und stieß an eine eiserne Platte, die sich mit einer Größe von knapp einem Quadratmeter im Boden vor ihr ausstreckte. Da Emily gut ausgerüstet war, zog sie eine Brechstange aus ihrem Rucksack und begann die Eisenplatte hochzuhebeln. Nachdem sie kräftig ins Schwitzen geraten war, rutschte die Platte quietschend zur Seite. Darunter befand sich ein schwarzes Loch. Emily leuchtete mit ihrer Lampe hinein und erblickte in Fels gehauene, unregelmäßige Stufen. Sie warf Anna einen triumphierenden Blick zu. Sie hatte richtig gelegen. Die Karte war echt! Es gab tatsächlich ein Labyrinth unter Zons! Dieses kleine mittelalterliche Städtchen war vollgestopft mit alten Geheimnissen, die nur darauf warteten, enthüllt zu werden. Sie liebte es. Stürmisch umarmte sie Anna, die ihre Entdeckung ebenfalls kaum fassen konnte. Wahnsinn, sie hatten eine Sensation entdeckt.
Emily begann langsam die Treppe nach unten zu steigen und Anna folgte ihr mit klopfendem Herzen.
Als sie am Ende der Treppe angekommen waren, holte Emily eine große Sprayflasche mit selbstleuchtender Farbe hervor und sprühte ein großes Kreuz an die Felswand.
„Damit wir uns nicht verlaufen“, flüsterte sie aufgeregt, während die neonrote Farbe zu leuchten begann. „Benutzt man nicht eigentlich ein Seil zur Markierung des Weges?“, fragte Anna ein wenig ängstlich. „Quatsch, wir leben doch nicht mehr im Mittelalter!“
XIII
Vor fünfhundert Jahren
Nach längerem Grübeln hatte Bastian auf der Karte einen möglichen Eingang in das Labyrinth entdeckt. Er wühlte nun mit Spaten und Hacke an dieser Stelle, die sich außerhalb der Stadtmauern von Zons befand. Bastian war völlig verschwitzt. Sein Atem ging heftig und seine Arme und Beine zitterten vor Anstrengung. Unter einer alten Weide, unmittelbar neben der Stelle, an der sich vor Kurzem ganz plötzlich die Erde vor seinen Füßen abgesenkt hatte und ein langgestreckter Graben entstanden war, wurde er fündig. Stundenlang hatte er die Karte des Labyrinths studiert, um sich hier unten, umgeben von Finsternis, nicht zu verlaufen. Ein wenig ärgerte er sich, dass er nicht gleich auf die Idee gekommen war, den Graben genauer zu
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