Der Sichelmoerder von Zons
entdeckt hatte. Sie hatte die Zeichnung eines mittelalterlichen Stuhls in seinen Unterlagen gefunden, sich aber keinen Reim darauf machen können.
Ein schwarzer Schatten huschte blitzschnell einige Meter vor ihnen durch die Dunkelheit. Emily blieb wie versteinert stehen und Anna stieß einen erstickten Schrei aus. Zitternd hob Emily ihre Taschenlampe höher und leuchte zu der Stelle, wo sie den Schatten wahrgenommen hatte. Nichts. Er war weg.
„Was war das, Emily? Ich bin mir ganz sicher, dort hinten einen riesigen schwarzen Schatten gesehen zu haben. Es muss ein Mann gewesen sein! Jemand ist mit uns hier unten.“
Emily sah Anna mit weit aufgerissenen Augen an. Für einen Moment wollte sie ihrem Instinkt folgen und die Flucht ergreifen, doch ihr Verstand befahl ihr, ruhig zu bleiben.
„Anna, bist du wirklich sicher?“ Anna nickte heftig, ihre angstverzerrte Miene ließ keinen Zweifel daran, dass sie etwas gesehen hatte.
„Lass uns zurückgehen, Emily. Bitte! Ich habe kein gutes Gefühl.“
Wieder huschte plötzlich ein Schatten an ihnen vorüber. Diesmal war Emily schneller und richtete in Sekundenschnelle den Lichtstrahl ihrer Taschenlampe auf die Stelle. Eine riesengroße fette Ratte lief aufgeregt an der Felswand entlang und verschwand dann in einer Ritze.
„Ratten!“, stieß Emily schrill hervor. „Ich hasse Ratten!“
Schwer atmend, jedoch innerlich beruhigt, ließen sich Emily und Anna gegen die Felswand sinken. Nach einer Weile sagte Anna:
„Lass uns weitermachen. Die Ratten werden uns schon nichts anhaben!“
Emily nickte und drückte Anna eine kleine Spraydose in die Hand.
„Hier nimm das! Das ist Pfefferspray. Nur für den Fall der Fälle.“
Dann erhob sie sich und sprühte ein weiteres rotes Neonkreuz an die Wand. Langsam liefen sie weiter. Ein Windstoß rauschte durch die Gänge und das Zischen der Luft hörte sich unheimlich an, wie ein Geist aus früheren Zeiten, der durch dieses Labyrinth irrte und keinen Frieden finden konnte. Emilys Nackenhärchen stellten sich auf. Nach ein paar Metern ging sie nach rechts durch einen schmalen Spalt. Hier musste es sein. Und tatsächlich erblickte sie den Stuhl, den Bastian in sein Notizbuch gezeichnet hatte. Anna lief dicht hinter ihr und stieß ein erstauntes „Oh“ aus.
Es war kein Stuhl, sondern ein Monstrum. Aus dem uralten und morschen Holz ragten alte rostige Eisennägel hervor. An den Armlehnen und Füßen befanden sich dicke Eisenringe, die als Arm- und Beinfesseln gedient hatten.
„Das ist ein mittelalterlicher Folterstuhl. So etwas habe ich im Museum schon einmal gesehen“, flüsterte Anna leise.
Emily ging näher an den Stuhl heran und stolperte dabei über einen alten Tonkrug, der scheppernd auf die Seite fiel.
„Was ist das?“
XV
Vor fünfhundert Jahren
Bastian blickte in einen schwach durch zwei Kerzen erleuchteten Raum des Labyrinths. Heinrich saß gefesselt mit aufgerissenem Hemd auf einem großen Holzstuhl. Das Familienamulett, mit einer goldenen Mühle darauf, lag glänzend auf seiner nackten Brust. Er schrie erbärmlich, bevor eine goldene Sichel die Luft durchschnitt und mit einem lauten Zischen seine Kehle durchtrennte. Heinrich verdrehte die Augen nach oben, sein Kopf fiel nach hinten und er war auf der Stelle tot.
„Nein, du Teufel!“, schrie Bastian und stürzte sich auf den Mann in der schwarzen Kutte. Bastian griff nach dem dunklen Stoff und wollte seinen Gegner zu Boden reißen, doch dieser ließ die Kutte von seinem Körper gleiten und ergriff die Flucht. Bastian stürmte wütend und völlig aufgebracht, mit wild rasendem Herzen hinterher.
„Conrad, bleibt stehen. Ich weiß, dass Ihr es seid!“, brüllte er atemlos in die Dunkelheit hinein. Bastian rannte der Gestalt hinterher, doch nach einer Weile konnte er sie nicht mehr sehen. Verdammt! Der Mann musste einen der vielen Seitengänge genommen haben. Bastian drehte sich um und lief zurück. Er hörte die dröhnenden Schritte überall an den Wänden widerhallen, es war nicht auszumachen, woher das Geräusch genau kam. Aber er muss hier irgendwo sein! Bastian entdeckte zu seiner linken Hand einen Gang und stürzte atemlos hinein. Nichts, außer tiefschwarzer Dunkelheit. Es herrschte Stille. Sein Gegner bewegte sich nicht mehr.
Bastian hatte bei seiner Verfolgung im Labyrinth so oft die Richtung gewechselt, dass er die Orientierung verlor. Sein Herz klopfte in einem so schnellen Takt, dass er schon Angst hatte, es könnte vor Aufregung
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