Der siebte Kristall
ja! Carlumen sinkt ein!«
»Es muß uns mit furchtbarer Gewalt aus dem Schlund hierhergeschleudert haben«, sagte Mythor. Er versuchte, seine Stimme ruhig klingen zu lassen. Tertish erschien, nach ihr Mokkuf, dann Joby. »Die wirbelnde Wand in der Ferne kann die Schattenzone sein. Falls es so ist, befinden wir uns entweder in der Düsterzone Gorgans oder der Dämmerzone Vangas. Der Schlamm reicht bis zum Horizont. Dies ist kein Eiland der Schattenzone.«
»Dann hast du ja jetzt erreicht, was du wolltest!« rief Mokkuf zornig. »Geh hinaus und sieh dir an, was auf Carlumen geschieht! Die Rohnen sind so irr vor Angst, daß sie die Krieger angreifen! Willst du wissen, wie viele Verletzte es gibt?«
»Hör auf!« fuhr Fronja ihn an. »Es ist geschehen, und wir sollten versuchen, das beste aus unserer Lage zu machen. Die Rohnen werden sich wieder beruhigen! Treibt sie zurück, anstatt Reden zu halten! Räumt auf!
Wir stecken nicht zum erstenmal bis zum Hals in Schwierigkeiten. Sorgt ihr für die Ordnung an Bord, und wir werden versuchen, die Stadt aus dem Sumpf herauszusteuern!«
Mokkuf lachte nur grimmig, fuhr auf dem Stiefelabsatz herum und winkte Tertish mit sich, die keine Miene verzog.
Mythor schenkte Fronja einen dankbaren Blick. Allein, daß sie sich nun so nachdrücklich auf seine Seite schlug, machte ihm neue Hoffnung. In der Stunde der Not waren die Freunde bisher immer füreinander dagewesen.
Cryton war es, der ihn gleich wieder ernüchterte.
»Wir kommen aus eigener Kraft nicht mehr frei«, sagte der gestürzte Götterbote. »Es gibt jetzt nichts Schlimmeres als falsche Hoffnungen. Wir sind gestrandet. Hört ihr nicht das Schaben und Gluckern? Carlumen sinkt immer noch tiefer ein. Bald wird uns der Schlamm verzehren. Wo ist nun der DRAGOMAE-Stein, für den das alles geschieht, Mythor?«
Es war kein Vorwurf in seiner Stimme. Er stellte nur fest, was war. Ein glühender Himmelsstein zog pfeifend seine Bahn und schlug nur kurz vor dem Bug in den wallenden Morast.
Es war wie ein zweites Omen.
»Wir versuchen es dennoch«, beharrte Mythor. »Mit der Kraft der Magie! Lankohr, Heeva, Nadomir, Glair und Sadagar. Bildet den Kreis.«
Sie taten es, ohne noch Hoffnung zu zeigen. Niemand sprach es laut aus, doch ihre Gedanken standen in ihren Gesichtern geschrieben:
Yhr hat dich in eine Falle gelockt!
Mythor schmerzte es, eine Mauer zwischen sich und den Freunden zu sehen. Ein winziges Wort hätte sie niederreißen können. Doch er schwieg.
Plötzlich überkam ihn wieder ein Gefühl der Schwäche. Etwas zehrte an ihm. Etwas labte sich an seiner Lebenskraft. Er stützte sich und wendete sich ab, um es nicht zu zeigen. Fronja war bei ihm, allein sie sah den Blick seiner Augen.
»Wo ist eigentlich Gerrek?« fragte Cryton. »Er lungert doch sonst ständig auf der Brücke herum, wenn es ihm draußen zu unsicher wird.«
Mythor hörte ihn kaum. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihn. Der ganze Körper wurde geschüttelt, und dämonisches Lachen hallte in seinem Geist.
Die Magiekundigen lösten sich nach einer Weile voneinander und schüttelten tief enttäuscht die Köpfe. Holzbohlen knarrten, als Carlumen sich wieder ein Stück weiter zur Seite neigte.
Die Krieger unter Tertishs Führung hatten derweil alle Hände voll zu tun, um die nun überall in Scharen angreifenden Rohnen abzuwehren. Sie glaubten noch immer, daß die Nomaden nur irr vor Angst seien.
Selbst Joby kämpfte verbissen. Dabei war der Augenblick abzusehen, an dem die ersten Teile Carlumens geräumt werden mußten. Falls nicht ein Wunder geschah, so würde der Schlamm schon in kurzer Zeit über die Wehrmauern schwappen und sich über die Fliegende Stadt ergießen.
Am düsteren Himmel stand keine Sonne. Nur die wirbelnde Wand in der Ferne drohte glühend. Es war kalt. Ein eisiger Wind frischte auf.
Die zarte Knospe am Trieb des Lebensbaums zitterte an ihrem Ast. Sie schien dem Tode geweiht, kaum daß sie gesprossen war. Die Furcht griff um sich. Wer die Knospe so sah, der wußte nun, daß ihr Schicksal und das Carlumens untrennbar miteinander verbunden waren.
*
Der Rohne zog blitzschnell den Dolch zurück, hob ihn in beiden Händen über den Kopf und holte zum tödlichen Stoß aus. Gerrek machte einen verzweifelten Versuch, wenigstens eine kleine Feuerlohe zu speien. Es wurde nur ein schwaches Keuchen daraus. Die Augen des Rohnen blitzten. Mit furchtbarer Wucht fuhr die Klinge herab – und verfehlte den Kopf des Mandalers um eine Fingerbreite.
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