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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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obendrein an einem so kühlen Abend?«
    Nanny ging ins Zimmer zurück, gefolgt von drei weiteren Hexen. Sie trugen die schwarzen Mäntel und spitzen Hüte, die traditionsgemäß mit ihrem Beruf in Verbindung gebracht werden, in diesem Fall aber dazu dienten, daß jede anders aussah. Mit nichts kann man seine Individualität besser zum Ausdruck bringen, als mit einer Uniform. Einmal hier gezupft und einmal da gekniffen, das schafft kleine Einzelheiten, die in scheinbarer, nun, Uniformität um so augenfälliger sind.
    Der Hut von Gammer Beavis beispielsweise hatte eine sehr flache Krempe und eine Spitze, mit der man sich das Ohr hätte säubern können. Nanny mochte Gammer Beavis. Sie war vielleicht ein wenig zu gebildet, was man ihr beim Sprechen manchmal deutlich anmerkte, aber sie reparierte ihre Schuhe selbst und schnupfte Tabak, und in Nanny Oggs bescheidener Weltsicht bedeutete das, daß jemand I N O RDNUNG war.
    Die Kleidung des alten Mütterchens Dismass hatte das unordentliche Aussehen von jemandem, der wegen einer Netzhautablösung in seinem zweiten Gesicht gleichzeitig in einer Vielzahl von Zeiten lebte. Bei normalen Menschen ist geistige Verwirrung schon schlimm genug, aber viel schlimmer ist es, wenn der Verstand einen okkulten Touch hat. Man konnte nur hoffen, daß sie lediglich ihre Unterwäsche auf der Oberkleidung trug.
    Nanny wußte, daß es immer schlimmer mit ihr wurde. Manchmal hörte man ihr Klopfen an der Tür, schon Stunden bevor sie eintraf. Ihre Fußabdrücke tauchten dafür erst Tage später auf.
    Beim Anblick der dritten Hexe überkam Nanny Niedergeschlagenheit, aber nicht, weil Lätizia Ohrwurm eine böse Frau war. Sogar ganz im Gegenteil. Sie wurde als anständig, wohlmeinend und gütig betrachtet, zumindest von weniger aggressiven Tieren und von Kindern der sauberen Variante. Und sie erwies einem immer einen guten Dienst. Das Problem war, sie erwies einem auch dann einen guten Dienst, wenn dieser gute Dienst nicht gut für einen war. Am Ende war man geistig ziemlich bedient, und das war nicht gut.
    Und sie war verheiratet. Nanny hatte persönlich nichts dagegen, daß Hexen verheiratet waren. Es war nicht so, als gäbe es Regeln in dieser Hinsicht. Sie selbst hatte viele Männer gehabt, und mit dreien war sie sogar verheiratet gewesen. Aber Herr Ohrwurm war ein pensionierter Zauberer mit einer verdächtig großen Menge Gold, und Nanny argwöhnte, daß Lätizia die Zauberei betrieb, um sich zu beschäftigen, etwa so, wie andere Frauen einer gewissen Schicht Knieschoner für die Kirche sticken oder die Armen besuchen mochten.
    Und sie hatte Geld. Nanny hatte kein Geld und war deshalb prädestiniert dafür, andere nicht zu mögen, die es hatten. Lätizia besaß einen derart feinen schwarzen Samtmantel, daß er aussah, als sei ein Loch in die Welt geschnitten worden. Nanny nicht. Nanny wollte keinen feinen Samtmantel und strebte nicht nach derlei Dingen. Also sah sie nicht ein, warum andere Leute sie haben sollten.
    »Abend, Gytha. Wie geht´s dir denn so?« fragte Gammer Beavis.
    Nanny nahm die Pfeife aus dem Mund. »Fit wie eine Fiedel. Kommt rein.«
    »Ist dieser Regen nicht furchtbar?« sagte Mütterchen Dismass. Nanny sah zum Himmel, der frostig purpurn war. Aber wahrscheinlich regnete es gerade, wo Mütterchens Geist weilte.
    »Dann komm rein und trockne dich ab«, sagte sie freundlich.
    »Mögen Glückssterne über dieser unserer Versammlung leuchten«, sagte Lätizia. Nanny nickte verständnisvoll. Lätizia hörte sich immer an, als hätte sie ihre Hexenkunst aus einem nicht sehr phantasievollen Buch gelernt.
    »Ja, richtig«, sagte sie.
    Es folgte höfliches Geplauder, während Nanny Tee und Gebäck bereitstellte. Dann sagte Gammer Beavis in einem Tonfall, der eindeutig besagte, daß der offizielle Teil des Besuchs begann:
    »Wir sind hier als das Wettstreitkomitee.«
    »Ach? Ja?«
    »Ich gehe davon aus, du nimmst teil?«
    »O ja. Ich werde meinen bescheidenen Beitrag leisten.« Nanny sah Lätizia an. Deren Gesicht zeigte ein Lächeln, mit dem sie nicht ganz glücklich war.
    »Das Interesse in diesem Jahr ist groß«, fuhr Gammer fort. »Immer mehr Mädchen interessieren sich für den Beruf.«
    »Um Jungs zu bekommen, hat man den Eindruck«, sagte Lätizia und schniefte. Nanny gab keinen Kommentar ab. Soweit es sie betraf, schien es ein verdammt guter Verwendungszweck für Hexerei zu sein, Jungs zu bekommen. In gewisser Weise war es einer der wesentlichen Verwendungszwecke.
    »Das ist

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