Der siebte Schrein
schön«, sagte sie. »Großer Andrang sieht immer gut aus. Aber.«
»Pardon?« sagte Lätizia.
»Ich sagte ›aber‹«, wiederholte Nanny. »Denn irgend jemand wird ›aber‹ sagen, richtig? Diesem Gespräch steht noch ein großes ›Aber‹ bevor. Das sehe ich.«
Sie wußte, sie trat die Etikette mit Füßen. Die Plauderei sollte noch mindestens sieben Minuten dauern, bis jemand zur Sache kam, aber Lätizias Anwesenheit ging ihr auf die Nerven.
»Es ist wegen Esme Wetterwachs«, sagte Gammer Beavis.
»Ja?« sagte Nanny ohne Überraschung.
»Ich nehme an, sie nimmt teil?«
»Es wäre das erste Mal, daß sie fehlen würde.«
»Ich nehme an, du . . . könntest sie nicht überreden . . . dieses Jahr nicht teilzunehmen?« sagte sie.
Nanny sah schockiert drein.
»Du meinst mit einer Axt?« fragte sie.
Die drei Hexen lehnten sich gleichzeitig zurück.
»Weißt du -«, begann Gammer ein wenig beschämt.
»Ganz offen, Frau Ogg«, sagte Lätizia, »es ist ziemlich schwer, andere Leute zur Teilnahme zu bewegen, wenn sie wissen, daß Fräulein Wetterwachs teilnimmt. Sie gewinnt immer.«
»Ja«, sagte Nanny. »Es ist ein Wettbewerb.«
»Aber sie gewinnt immer!«
»Und?«
»Bei anderen Wettbewerben«, sagte Lätizia, »darf man normalerweise nur dreimal hintereinander gewinnen und muß dann eine Weile auf die hinteren Plätze verschwinden.«
»Ja, aber hier geht es um Hexerei«, sagte Nanny. »Da sind die Regeln anders.«
»Inwiefern?«
»Es gibt keine.«
Lätizia zupfte an ihrem Rock. »Vielleicht wird es Zeit, daß es welche gibt«, sagte sie.
»Ah«, sagte Nanny. »Und ihr wollt einfach da rauf gehen und Esme das sagen? Bist du dem gewachsen, Gammer?«
Gammer Beavis sah ihr nicht in die Augen. Das alte Mütterchen Dismass sah in die vergangene Woche.
»Mir ist klar, daß Fräulein Wetterwachs eine sehr stolze Frau ist«, sagte Lätizia.
Nanny Ogg paffte wieder ihre Pfeife.
»Genausogut könnten Sie sagen, daß das Meer voll Wasser ist«, sagte sie.
Die anderen Hexen schwiegen einen Moment.
»Ich wage zu sagen, daß das ein wertvoller Beitrag zu unserem Gespräch war«, sagte Lätizia, »aber ich habe ihn nicht verstanden.«
»Wenn es kein Wasser im Meer gibt, dann ist es kein Meer«, sagte Nanny Ogg. »Es ist nur ein verdammt großes Loch im Boden. Bei Esme ist es so . . .« Nanny sog wieder lautstark an ihrer Pfeife. »Sie besteht ausschließlich aus Stolz, klar? Sie ist nicht nur eine stolze Person.«
»Dann sollte sie vielleicht lernen, ein klein wenig bescheidener zu sein . . .«
»Weshalb sollte sie bescheiden sein?« fragte Nanny schneidend.
Aber Lätizia hatte, wie viele Leute mit Marshmallow als Schale, einen harten Kern, der sich nicht so leicht zusammendrücken ließ.
»Die Frau ist eindeutig ein Naturtalent, und sie sollte wirklich dankbar sein für -«
Nanny Ogg hörte ab diesem Punkt nicht mehr zu. Die Frau, dachte sie. So lief also der Hase.
Es war in praktisch jeder Branche dasselbe. Früher oder später kam jemand auf die Idee, daß sie organisiert werden mußte, und man konnte in einem Punkt ganz sicher sein, daß die Organisierer ganz bestimmt nicht zu den größten Leuchten ihres Fachs gehörten. Die arbeiteten zu hart. Um ehrlich zu sein, im allgemeinen wurde es auch nicht von den schlechtesten gemacht. Die arbeiteten auch hart. Das mußten sie.
Nein, es wurde von denjenigen gemacht, die gerade Zeit und Neigung genug hatten, herumzuwurschteln und sich zu tummeln. Und um abermals ehrlich zu sein, die Welt brauchte Leute, die herumwurschtelten und sich tummelten. Man mußte sie ja nicht besonders mögen.
Das Schweigen sagte ihr, daß Lätizia fertig war.
»Wirklich? Nehmen wir mal mich«, sagte Nanny. »Ich bin diejenige, die ein Naturtalent ist. Wir Oggs haben die Hexerei im Blut. Ich mußte mir nie wirklich ein Bein dafür ausreißen. Esme dagegen . . . sie hat ein bißchen, das stimmt, aber viel ist es nicht. Sie sorgt nur dafür, daß es wie der Teufel funktioniert. Und ihr wollt ihr sagen, daß sie das nicht soll?«
»Wir hatten gehofft, daß Sie das machen würden«, sagte Lätizia.
Nanny machte den Mund auf, um ein oder zwei Flüche auszustoßen, und machte ihn wieder zu.
»Ich sag euch was«, sagte sie, »ihr könnt ihr das morgen selbst sagen, und ich komme mit, um sie zurückzuhalten.«
Oma Wetterwachs sammelte Kräuter, als sie den Weg hinaufkamen.
Alltägliche Kräuter des Krankenzimmers oder der Küche nennt man einfache. Omas Kräuter waren keine
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