Der siebte Turm 03 - Aenir - Reich der Schatten
Ihre Eltern waren schon lange tot.
„Ich glaube, ich sollte ihn fragen“, fügte er hinzu. Doch er machte keine Anstalten.
„Ich habe schon so viele Fehler gemacht“, sagte Milla. „Meine eigenen Fehler, denn glaube nicht, dass alles von einem großen Reckoner bestimmt ist und ich nur ein kleines Steinchen auf dem Feld bin. Ich hätte zum Ruinenschiff zurückkehren sollen, als ich den Sonnenstein hatte. Ich hätte nicht nach Aenir gehen soll…“
„Ich weiß, ich weiß“, unterbrach Tal ihre Ausführungen. „Es tut mir Leid …“
„Du verstehst nicht“, fuhr Milla fort. „Ich habe beschlossen, dass es nichts mehr ausmacht, noch einen weiteren Fehler zu begehen. Ich werde dir helfen, deinen Bruder zu befreien. Aber wir müssen den Kodex hier verstecken. Und so, wie wir gerade aussehen, können wir uns nicht im Schloss bewegen. Und wir brauchen etwas zu essen und zu trinken.“
„Wir können uns Kleider, Essen, Trinken und so weiter in einem Lager der Untervölkler besorgen“, sagte Tal. „Es ist mitten in der Nacht und wenn wir uns strikt an die mittleren farblosen Flure halten, können wir uns zu dem Raum durchschlagen, wo sie meiner Meinung nach Gref festhalten. Er ist… in der Nähe des Saales der Albträume…“
Milla zuckte mit den Schultern. Anders als für Tal besaß der Saal der Albträume für sie keinen besonderen Schrecken. Sie hatte bewiesen, dass sie gegen die Albtraum-Maschinen immun war, indem sie die Cronen zu ihrem Schutz gerufen hatte.
„Ich hoffe, dass wir Fashnek allein antreffen“, sagte sie und meinte damit den gruseligen Wärter des Saales der Albträume.
„Ich hoffe nicht“, sagte Tal schaudernd. „Wir können es uns nicht leisten, einen Kampf zu beginnen.“
„Also lass uns aufbrechen“, sagte Milla. „Erst essen wir etwas und dann kämpfen wir… oder schleichen uns durch.“
„Wir müssen den Kodex verstecken“, sagte Tal. Sie gingen zu ihm hinüber. Tal bückte sich, um ihn anzuheben, doch Milla rührte sich nicht.
„Du musst ihn fragen“, sagte sie. „Die Frage wird dich in deinen Träumen verfolgen, wenn du sie nicht stellst.“
Tal nickte. Er wollte unbedingt wissen, ob sein Vater noch lebte, doch er fürchtete auch, dass der Kodex ihm sagen würde, dass er tot war.
„Frag ihn!“, drängte Milla.
Tal legte seine Hände zusammen und kratzte sich an der Nase. Dann ließ er die Knöchel an seiner rechten Hand knacken. Und schließlich stellte er mit abgehackten Worten die Frage.
„Kodex. Ist Rerem Abbitt-Erem noch am Leben?“
Tal hielt den Atmen an, als die Buchstaben an die Oberfläche kamen. Und dann verstand er sie nicht. Er hatte ein einfaches ,Ja‘ oder ,Nein‘ erwartet.
Doch was er las, war: Nicht tot und nicht lebendig.
„Was meinst du?“, fragte Tal ungeduldig.
Nicht tot und nicht lebendig.
Tal schüttelte den Kopf.
„Was sagte er?“, fragte Milla. Bevor Tal antworten konnte, lieferte der Kodex eine Übersetzung in Eiscarl-Runen.
„Kodex. Wo ist Rerem Abbitt-Erem?“, fragte Tal.
Im Orange-Turm. Über dem Schleier.
Tal verschluckte sich beinahe. Sein Vater konnte unmöglich dort sein! Dort oben gab es nichts außer Sonnenstein-Netzen.
„Wie… wie kann er nicht tot und nicht lebendig sein?“
Er ist der Wächter des orangefarbenen Schlüsselsteins. Der Stein wurde geöffnet, also lebt er nicht mehr. Wenn der orangefarbene Schlüsselstein nicht geschlossen wird, lebt er nicht. Wenn er geschlossen wird, wird er wieder leben.
„Ich verstehe das nicht“, sagte Tal. Was war der orangefarbene Schlüsselstein?
Er wollte gerade eine weitere Frage stellen, als Odris plötzlich über die Särge zurückgeglitten kam und ihnen etwas zurief, von dem sie sicherlich annahm, dass es geflüstert war.
„Leute und Schatten! Eine Menge davon und auf dem Weg hierher!“
Tal und Milla mussten sich nicht absprechen. Sie hoben den Kodex auf und ließen ihn in den Sarg gleiten. Er passte wieder seine Form an, als sie ihn hineinlegten und den schweren Sargdeckel zuschoben.
Dann liefen der Junge der Erwählten und das Eiscarl-
Mädchen zum Ausgang der Untervölkler, wo die Steinhauer arbeiteten. Ebbitt zufolge gab es hier noch einen Ausgang.
Sie hatten gerade das Mausoleum verlassen, als eine Menge Erwählter hereinkam. Licht erfüllte die Halle und viele Geistschatten schlüpften herein und mischten sich unter die Schatten, die die Statuen auf die Gräber der Erwählten warfen.
KAPITEL DREISSIG
Milla musste Tal vom
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