Der siebte Turm 04 - Jenseits der Grenze
springenden Selski.
Noch immer völlig benommen, wurde Milla wieder in die Mitte der großen Ansammlung von Cronen gebracht. Sie fühlte sich eigenartig leicht, so als ob der Wind sie noch immer trug. Das Gewicht ihrer vergangenen Sorgen war verschwunden. Sie dachte nicht mehr daran, zurück aufs Eis gehen und für ihre Missetaten büßen zu müssen.
Als sie wieder im Gerichtssaal war, kam Odris auf sie zugeflogen. Der Geistschatten plapperte erleichtert auf sie ein.
„Was ist denn passiert, Milla? Ich habe gespürt, wie du… verschwunden bist… und dann warst du wieder da. Mir gefällt es hier nicht. Wann können wir wieder nach Aenir zurück? Da ist es besser für uns beide.“
„Still, Odris“, sagte Milla ruhig. „Wir sind hier noch nicht fertig. Komm und steh mir zur Seite.“
Sie ging zu dem Stuhl und setzte sich darauf. Doch in ihrem silbernen Fell, mit dem knöchernen Haarreif und der Kralle von Danir an ihrem Finger sah sie nicht wie jemand aus, über den man richten musste.
„Milla vom Ruinenschiff“, sagte die Mutter-Crone. „Wir haben dir eine schwere Verantwortung aufzuerlegen. Wirst du sie akzeptieren, für dich und deinen Schatten?“
„Jawohl, das werde ich“, gab Milla gefasst zurück. Sie hob ihre Hand, um Odris zum Schweigen zu bringen, die gerade etwas sagen wollte.
„Dann werden wir das Gebet von Asteyr sprechen, um diese Verantwortung an dich zu binden“, verkündete die Mutter-Crone.
Die Cronen sprachen wieder in ihrer gemeinsamen, volltönenden Stimme.
Der Stimme einer Frau.
Die Macht der Stimme überwältigte Milla und Odris derart, dass sie die ersten Worte nicht mitbekamen, sondern sich vielmehr fühlten, als wären sie in einem Gedicht oder Lied gefangen. Eines, das bis in ihre Knochen – ob Schatten oder Fleisch – vorzudringen vermochte.
Mit dem Gebet kam eine wichtige Anweisung, die sie niemals brechen konnten. Sie sprach von absoluter Loyalität dem Eiscarl-Volk gegenüber, einer Loyalität, die von der Stimme der Eiscarls bestimmt sein würde.
Die Cronen. Sie würden gemeinsam in ihrer schweigendem Art sprechen und ihre Entscheidungen mit dem großen Verstand fällen, den sie gemein hatten. Und welche Entscheidungen auch immer sie fällen würden, sie würden sie Milla auferlegen und sie würde sie befolgen müssen. Dasselbe galt für den Schatten, der an sie gebunden war.
Das Gebet veränderte sich und die Stimme wurde leiser. Schließlich sprach die Mutter-Crone des Ruinenschiffs. Sogar diese Stimme allein hatte etwas Bindendes.
„Drei Dinge erlegen wir dir auf“, sagte die Mutter-Crone. „Das Erste ist dein Lebens-Name. Ich taufe dich Milla Krallenhand. Das Zweite ist das Amt, das ich vor dir bekleidet habe, das des Lebenden Schwertes von Asteyr. Das Dritte ist ein Titel und eine Verantwortung, die kein Eiscarl seit dreitausend Umrundungen getragen hat.“
Sie hielt inne und holte einmal tief Luft, bevor sie fortfuhr.
„Milla Krallenhand, wir ernennen dich zur Kriegsführerin der Eiscarls und erlegen dir auf, das zu vollenden, was vor langer Zeit begonnen wurde. Wir erlegen dir auf, unsere Welt für immer vor den Schatten von Aenir zu schützen.“
KAPITEL NEUNUNDZWANZIG
Tal sah der riesigen Masse von Geistschatten entgegen, die da zu ihnen hochstieg. Sie hatten höchstens ein paar Minuten, bevor sie um sie herum schwärmen würden.
Er sah Crow an, doch der ältere Junge war völlig gelähmt, starrte hinunter zu den Feinden und hielt den Roten Schlüsselstein unsicher in der Hand.
Tal sah den Stein und hatte plötzlich einen Einfall.
Er handelt schnell und entriss Crow den Stein aus seinem losen Griff.
Crow drehte sich sofort mit dem Messer in der Hand um.
„Gib ihn mir zurück!“, knurrte er.
„Was ist denn los?“, fragte eine klagende Stimme aus dem Stein, als Tal zurück ging.
„Ich brauche ihn, um uns hier herauszubringen“, erklärte Tal. Er sprach so schnell er konnte. „Es sei denn, du willst den Geistschatten begegnen.“
Crow zögerte, senkte dann aber sein Messer.
Tal starrte den Schlüsselstein an. Er konnte Lokar sehen, die in rotem Licht schwebte. Es sah aus, als paddelte sie im Wasser umher. Es kostete sie offensichtlich einige Anstrengung, mit der Außenwelt in Kontakt zu treten.
„Lokar“, sagte er drängend. „An der Außenseite der Mauer kommen haufenweise Geistschatten zu uns hoch. Gibt es hier irgendeinen Ort, an dem wir uns verstecken können, wo wir vor ihnen sicher sind? Können sie
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