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Der Sieg nach dem Krieg

Der Sieg nach dem Krieg

Titel: Der Sieg nach dem Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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beschleunigen, doch was hat man dann?
    Ré genoß die schlechte Zeit nach Art des Zauberlehrlings, der von seinem Meister schon weiß, wann andere sich wundern werden und worüber. Die ständige Gegenwart einer sensitiven Person macht zwar noch keinen Esoteriker, auch nicht mit Hilfe von Wein, den beide schätzten und sich zu beschaffen wußten, zweifellos aber beeinflußt sie den eigenen Blickwinkel. Kopflastigkeit klingt ab, der Bauch fängt an zu denken, man ertappt sich zunehmend dabei, daß man Ratschläge gibt. Oft fallen sie rüde aus, die veränderte Sicht drängt zur Klarheit, ohne schonende Umschreibung.
    Ré wurde dieser innere Wandel bewußt, als ein Bekannter auf der Straße seine heitere Gelassenheit witterte und sie zum Anlaß nahm, sämtliche Sorgen bei ihm abzuladen. »Das ist kein Leben mehr! Zweimal ausgebombt, alles verloren, unterernährt, nichts zum Heizen, die Frau schwer krank, keinen Pfennig, die Freundin mit den letzten Habseligkeiten durchgebrannt, und da sagt mir der Arzt, ich hätt’ eine offene Tb. Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll...«
    Ré wußte Rat. »Da hilft nur ein Stein an einem Strick um den Hals und in die Isar !«
    Vielleicht lebt der Mann deswegen noch immer.

    »Quelle trouvaille !« — dachte der in eisiger Nacht von einem Fest Heimkehrende angesichts der schwarzglänzenden Brocken, die auf dem Hof im Schnee lagen. Bei der Teppichstange stand der Wagen des erfolgreichsten Schiebers im Haus. So fiel die Kombination leicht: Hat sich der Kerl wieder Kohle beschafft! Noch unbehauen, frisch vom Waggon. In meinem Ofen müßt’ das für drei Tage reichen! Und er wuchtete die von des Schwarzhändlers Tisch gefallenen schwarzen Brosamen in seine Wohnung. Wo sie lagern? Darum würde er sich morgen kümmern. Seine Finger schmerzten vom Schleppen der eiskalten Wärmespender, eilig legte er sie in der Diele ab. Warmes Wasser zum Händewaschen gab es nicht; der Dreck leistete der Einheitsseife hartnäckig Widerstand. Doch das Allgemeinbefinden war gut, der Magen nahm den genossenen Steinhäger offenbar nicht übel.
    Ein Freund hatte auf dem Fest die Flasche entdeckt, verschlossen mit dem Originalkorken. Fröhlich waren sie der Versuchung erlegen. Ein bißchen ölig schmeckte er zwar, doch sonst eigentlich nach nichts.
    Das liege am Alter — meinte ein Kenner. Möglicherweise sei die Flasche zu Zeiten der Weimarer Republik abgefüllt worden — mutmaßte ein anderer. Form und Etikett hatten sich in den Jahren nicht geändert. Reihum, dem entfleuch- ten Alkohol nachschmeckend, leerten sie die Flasche. Immerhin war es Steinhäger, nichts von dem gefürchteten Methylalkohol.
    Die zufriedenen Trinker, mitten im swingenden Hexenkessel, machten den Besitzer der Atelierwohnung stutzig. Fotograf war er, und sein Atelier für Feste wie geschaffen. Großzügig reichte der Finder die Flasche seinem Besitzer. »Wo hast du die denn gefunden ?« fragte der.
    Ohne Begleittext wies ein Zeigefinger auf eine schmale Tür, und der Kenner meinte: »Höchste Zeit, daß die ausgetrunken wird. Noch ein Jahr und der Steinhäger wär’ ungenießbar .«
    »Das ist er schon jetzt«, antwortete der Besitzer. »Es handelt sich nämlich um ein Fixierbad. Prost !«
    Der Magen, wie gesagt, zeigte sich gut entwickelt. Bis in den Vormittag hinein gab es keine Schlafstörung. Auch der Kopf blieb schmerzverschont. Unter Gähnen und Strecken besann sich der Erwachende seines Fundes. Da machte es Spaß aus dem warmen Bett zu kriechen, um sich ordentlich einzuheizen. Wo waren die Kohlebrocken? Hatte hier jemand...?
    Ein Blick stoppte den Verdacht. Da, wo sie gelegen hatten, stand eine ölig-schwärzliche Wasserlache. So fiel die Kombination leicht: Die Brocken stammten zwar von dem Schieber. Er hatte sie auch im Auto mitgebracht. Nur nicht im Kofferraum, sondern an den Radkästen, hinter den Rädern.

    Auch die Altvorderen hatten den Schwarzhandel als Komfortstütze erkannt. Besonders, wenn im Laufe eines langen Lebens gewisse Süchte seßhaft geworden waren. Bei Peters Vater handelte es sich um das Rauchen. Der große dünne Mann führte das freie Leben eines vorbildlichen Schwabin- gers. Er nahm an den Festen seiner Söhne teil, ging entsprechend spät zu Bett und stand nie vor zwölf Uhr mittag auf. Wie es ihm gelang, die für ihn lebenswichtigen Zigaretten in solchen Mengen zu beschaffen, daß er damit neben dem beträchtlichen Eigenbedarf den Unterhalt für seine Familie finanzieren konnte, blieb sein

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