Der Sieg nach dem Krieg
Tag. In der Hauptsache erledigte Willi Besorgungen.
Für jedermann und meist gegen Naturalien. Er transportierte Sperrgut, Koffer, Kisten, Nähmaschinen, Konzertflügel, Türen, Öfen, Dachziegel, kutschierte alte Leute zum Arzt, lieferte Heizmaterial an, Kartoffelsäcke, überhaupt manch schwarze Fracht, für die er als Fuhrunternehmer keine Verantwortung trug, wohl aber daran beteiligt war. Umzüge im Freundeskreis erledigte er gratis. Abends fuhr er im Smoking zur Oper: seine Frau und Freunde saßen auf Biergartenstühlen auf der Plattform.
Eine Fuhre ist mir unvergessen. An einem strahlend schönen Tag kam Freund Willi durch unsere Straße im Cut. Ein Hochzeitspaar hatte er geladen, die Braut in weiß, dahinter stehend die Trauzeugen und Verwandten. Kein Motorgeräusch schmälerte den Eindruck des Glücks, Passanten blieben stehen und klatschten. Selbst bei Regen wirkte der Anblick sonnig, wie auch zehn Monate später bei der Fahrt zur Taufe. Alle Gäste saßen trocken unter einem großen Gartenschirm.
Nicht jedes Transportmittel stimmte die Mitmenschen, Polizisten und Besatzer eingeschlossen, heiter. Wer ein Auto fuhr, mußte die Zulassung gut sichtbar an die Windschutzscheibe kleben und trotzdem jederzeit damit rechnen, angehalten und kontrolliert zu werden. Fahrgenehmigung, sowie Benzin konnten ja auch über den Schwarzmarkt beschafft worden sein. Gut gefälschte, ja selbst echte Papiere, schützten nicht vor lästigem Stöbern im Wageninneren. Zu sehr verleitete das mobile Gehäuse dazu, schwarze Ware in größeren Mengen zu transportieren. Dieser Versuchung konnte auch Freund Lutz nicht widerstehen. Seine Tätigkeit bei den Amerikanern verschaffte ihm einleuchtende Ausreden. Er ging in ihrem Verpflegungslager aus und ein. Was sollte da schon passieren? Den amerikanischen Bezugscheinen, die er vorlegte, um Waren abzuholen, sah niemand an, ob er sie ausgehändigt bekommen oder hintenherum organisiert hatte.
Einmal fuhr er mit tausend frischen Eiern und einer Kiste Butter auf einer Straße, die zwar vom Verpflegungslager weg, nicht aber zu seiner Dienststelle zurück führte. Alles war gut gegangen, er wollte gerade anfangen sich zu freuen, zählte schon Freunde und Bekannte zusammen, die er damit beglücken würde, als ihm ein Jeep der Military Police auffiel, den er bereits vor Minuten im Rückspiegel gesichtet hatte. Vorsichtshalber änderte er die Fahrtrichtung, ebenso der Jeep. Wieder bog er ab. Beim dritten Mal wurde seine Befürchtung zur Gewißheit — der Jeep folgte ihm. Immer mehr entfernte er sich von seiner Dienststelle, und weil sein Zickzackkurs mögliche Ausreden immer unglaubhafter machte, suchte er schließlich sein Heil in der Flucht. Hinter jeder Ecke beschleunigte er den Opel P4 bis zur Drehzahlgrenze und gelangte über Straßen, die er nie zuvor gefahren war, zu dem Hüttchen, das er bewohnte. Schon beim Herunterbremsen griff er nach den Kisten und stürmte hinein.
»Schnell unters Bett damit. Die Polizei ist hinter mir her !« rief er seiner Frau zu, sprang in den Wagen und kehrte auf dem üblichen Weg zur Dienststelle zurück, im Rückspiegel sah er, wie ein Abziehbild, den Jeep. Jetzt tat ihm der Anblick wohl. Im Haus konnten sie — falls sie es überhaupt kannten — in der kurzen Zeit nicht gewesen sein. Eier, Butter und Frau waren in Sicherheit.
Vor der Dienststelle parkte er den Wagen, die Militärpolizisten hielten dahinter und traten ihm in den Weg. Seine Ausrede zu dem merkwürdigen Umweg, schien sie zu überzeugen: Er habe seine Frau zum Zahnarzt bringen wollen, sie sei aber schon weggewesen.
Wie sich herausstellte, interessierte das die Männer nur am Rande. Ihnen war zu Ohren gekommen, er würde nachts an abgestellten Militärfahrzeugen aus Reservekanistern Benzin absaugen.
Deswegen also die Verfolgung! Schrecken — und Aufatmen fielen zusammen. Freund Lutz rettete sich in Gelächter, um Zeit zu schinden und einen arglosen Eindruck zu machen, denn jetzt kam es auf die richtige Antwort an. Sie fiel ihm ein: Er fragte, ob man ihn denn für so dumm hielte, daß er seine gute Stellung mit solchen Mätzchen gefährden würde, wie ein kleiner Schwarzhändler?
Eine Überprüfung des Treibstoffs in dem betagten Opel hätte ergeben, daß es sich um knapp zwanzig Liter aus amerikanischen Beständen handelte, genau die Menge, die in der letzten Nacht aus einem Jeep-Kanister gestohlen worden war. Doch seine zur Schau gestellte Heiterkeit hatte den Verdacht abgewendet. Sie
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