Der Sieger bleibt allein (German Edition)
die Augen.
»Du lügst.«
»Ja, ich lüge.«
Sie fielen einander um den Hals.
»Seit dem Wochenende am Strand, als wir die ersten Fotos gemacht haben, wusste ich, dass dieser Augenblick kommen würde. Es hat etwas gedauert, aber du bist jetzt neunzehn und alt genug, eine solche Herausforderung anzunehmen. Es hatten mich zuvor schon andere angesprochen. Ich habe immer nein gesagt und mich dabei gefragt, ob ich es aus Eifersucht tat, weil ich dich nicht verlieren wollte, oder weil du noch nicht bereit warst. Heute, als ich Hamid Hussein im Publikum sah, wusste ich, dass er nicht nur dort war, um Ann Salens die Ehre zu erweisen – er musste etwas anderes im Sinn haben, und das konntest nur du sein.
Als er mir dann ausrichten ließ, dass er mit uns sprechen wolle, wusste ich erst nicht genau, was ich tun sollte, gab ihm aber den Namen unseres Hotels an. Ich war nicht überrascht, als die beiden mit dem Vertragsentwurf anrückten.«
»Aber warum hast du den Vertrag angenommen?«
»Weil derjenige, der liebt, Freiheit gewährt. Dein Potential ist zu groß für das, was ich dir bieten kann. Ich segne deine Schritte. Ich möchte, dass du alles erhältst, was du verdienst. Wir bleiben zusammen, denn dir gehören mein Herz, mein Körper, meine Seele.
Aber ich werde meine Unabhängigkeit bewahren, obwohl ich weiß, dass in der Mode Paten wichtig sind. Wenn Hamid sich tatsächlich an mich wenden und mir vorschlagen würde, mein Label zu übernehmen, hätte ich kein Problem damit, es ihm zu verkaufen und für ihn zu arbeiten. Aber in der Verhandlung vorhin ging es nicht um mein Talent, sondern um dich. Ich wäre mir selbst untreu geworden, wenn ich auf diesen Teil des Vorschlages eingegangen wäre.«
Sie küsste Jasmine.
»Das kann ich nicht annehmen. Als ich dich kennenlernte, war ich nur ein verschrecktes Mädchen, das aus Feigheit eine falsche Zeugenaussage gemacht hatte. Ich war unglücklich, weil die Verbrecher freikamen, und erwog ernsthaft, Selbstmord zu begehen. Dir habe ich zu verdanken, dass mein Leben eine Wendung zum Guten genommen hat.«
Ihre Lebensgefährtin bat sie, vor dem Spiegel Platz zu nehmen. Bevor sie sie frisierte, strich sie ihr zärtlich übers Haar.
»Und als ich dich kennenlernte, hatte auch ich meine Lebensfreude verloren. Ein Mann hatte mich wegen einer jüngeren, reicheren Frau verlassen, und ich war gezwungen, mich als Fotografin durchzuschlagen. Die Wochenenden verbrachte ich zu Hause, las, surfte im Internet oder schaute alte Filme im Fernsehen an. Mein großer Traum, Mode zu machen, schien in immer weitere Ferne zu rücken, denn ich bekam die nötige Finanzierung nicht zusammen und ertrug es nicht mehr, an Türen zu klopfen, die sich nicht öffneten, oder mit Leuten zu reden, die mir nicht zuhörten.
Dann bist du aufgetaucht. An dem Wochenende, das muss ich gestehen, habe ich mehr an mich selbst gedacht: Ich hatte einen einmaligen Schatz gefunden und wusste, dass ich mit dem Abschluss eines Exklusivvertrages ein Vermögen machen könnte. Ich habe dir sogar vorgeschlagen, deine Agentin zu sein, erinnerst du dich daran? Aber nicht weil ich dich vor der Welt beschützen wollte, sondern weil ich damals genauso eigennützig war wie Hamid Hussein heute. Ich wusste, wie ich meinen Schatz nutzen konnte. Ich würde durch die Fotos reich werden.«
Sie gab Jasmines Frisur den letzten Schliff.
»Und du hast mir, obwohl du erst sechzehn warst, gezeigt, wie Liebe einen Menschen verändern kann. Durch dich habe ich herausgefunden, wer ich bin. Um der Welt dein Talent zu zeigen, habe ich die Kleider gezeichnet, die du tragen würdest – Kleider, die ich schon lange im Kopf gehabt hatte und die darauf warteten, mit Stoffen, Stickereien, Accessoires Gestalt anzunehmen. Wir sind den Weg zusammen gegangen, haben zusammen gelernt, obwohl ich fast doppelt so alt bin wie du. Nach und nach wurden einige Leute auf meine Arbeit aufmerksam, beschlossen, Geld in mich zu investieren. Zum ersten Mal konnte ich umsetzen, wovon ich immer geträumt hatte. Wir sind zusammen nach Cannes gekommen. Kein Vertrag kann uns je trennen.«
Sie ging ins Bad und holte die Tasche mit den Schminkutensilien. Ihr Tonfall war jetzt geschäftsmäßiger.
»Du musst heute Abend umwerfend aussehen. Nur wenige Models treten so wie du unvermittelt aus der Anonymität heraus und werden über Nacht berühmt, deshalb wird sich die Presse auf dich stürzen. Sag ihnen, du kennst keine Details! Das reicht. Sie werden trotzdem nicht
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