Der Sieger bleibt allein (German Edition)
länger als eine Minute, auch wenn es anders aussieht, handelt es sich hier nur um ein Galadinner. Wenn du ein Star sein willst, musst du anfangen, dich wie einer zu benehmen.
»Warum muss ich allein, ohne Begleitung, hineingehen?«, fragt sie den Androgynen.
»Es scheint irgendein Problem zu geben. Er wird gleich da sein. Schließlich ist er ein Profi. Er wird sich aus irgendeinem Grunde verspätet haben.«
›Er‹ ist der berühmte Filmschauspieler. Der Androgyne hätte auch sagen können, was er denkt: ›Er wird ein Mädchen aufgetrieben haben, das verrückt danach war, mit ihm ins Bett zu gehen, und ist deshalb nicht zur angegebenen Zeit aus seinem Zimmer gekommen.‹ Doch die Wahrheit hätte diese Anfängerin verletzen können, die wahrscheinlich von einer romantischen Liebesbeziehung träumt, auch wenn es dafür keinen Anlass gibt. Es reicht, wenn er seine Pflicht tut und dann nach Hause geht. Ihr Freund muss er nicht sein. Aber auch nicht grausam. Und wenn das naive Mädchen seine Gefühle nicht unter Kontrolle hat, werden die Fotos im Korridor nicht gut.
Er reiht sich vor ihr in der Schlange ein und bittet sie, ihm im Abstand von ein paar Metern zu folgen. Sobald er in den Korridor einbiegt, wird er direkt auf die Fotografen zugehen und versuchen, das Interesse von einem zu wecken.
Gabriela wartet ein paar Sekunden, setzt ihr schönstes Lächeln auf, hält die Tasche, wie es sich gehört, kontrolliert ihre Haltung und marschiert dann los, bereit, sich den Blitzlichtern zu stellen. Der Korridor führt um eine Biegung in einen hell erleuchteten Raum, dessen eine Wand mit den Logos des Sponsors bedeckt ist. Auf der anderen Seite befindet sich eine kleine, halbrunde Tribüne, von der aus Kameraobjektive auf sie gerichtet sind.
Sie geht langsam weiter, diesmal macht sie jeden Schritt bewusst – sie will nicht noch einmal, wie auf dem roten Teppich, nachträglich feststellen, dass das große Erlebnis zu Ende ist, bevor sie es bewusst genießen konnte. Jetzt geht es darum, den Augenblick wie in Zeitlupe zu erleben. Gleich würden die Blitzlichter aufflammen.
»Jasmine!«, ruft jemand.
Jasmine? Aber sie heißt doch Gabriela.
Sie bleibt den Bruchteil einer Sekunde lang mit eingefrorenem Lächeln stehen. Nein, ihr Name ist nicht mehr Gabriela. Aber wie war er noch? Jasmine!
»Beweg dich!«, sagt einer der Fotografen. »Dein Augenblick des Ruhms ist vorbei. Lass mich arbeiten.«
Sie kann es nicht fassen. Lächelt weiter, geht aber etwas schneller auf den dunklen Tunnel zu, der dort zu beginnen scheint, wo der Lichtkorridor endet.
»Jasmine! Schau hierher! Hier!«
Die Fotografen scheinen alle von einer kollektiven Hysterie ergriffen zu sein.
Gabriela gelangt an das Ende des »Korridors«, und keiner hat ihren Namen gerufen, den sie im Übrigen vergessen hat. Der Androgyne erwartet sie dort.
»Mach dir nichts draus«, sagt er und zeigt zum ersten Mal etwas Menschlichkeit. »Du wirst sehen, heute Abend passiert das auch noch anderen. Schlimmer noch: Du wirst Leute erleben, deren Namen früher gerufen wurden und die heute lächelnd dort entlanggehen und erwarten, fotografiert zu werden. Aber niemand, wirklich niemand ist so barmherzig, auch nur einmal das Blitzlicht auszulösen.«
Sie muss jetzt kaltblütig wirken. Sich beherrschen. Das ist nicht das Ende der Welt, ihre inneren Dämonen haben hier jetzt nichts verloren.
»Ich mache mir nichts draus. Schließlich habe ich heute erst angefangen. Wer ist Jasmine?«
»Sie hat auch heute angefangen. Am frühen Abend wurde verkündet, dass Hamid Hussein sie unter Vertrag genommen hat. Aber keine Angst, es ist kein Filmvertrag!«
Sie hat keine Angst. Sie wünscht sich nur, der Boden würde sich auftun und sie verschlucken.
20 Uhr 12
›Lächle!
Tu einfach so, als wüsstest du nicht, warum so viele Leute deinen Namen rufen!
Geh so, als würdest du über einen roten Teppich gehen und nicht über einen Laufsteg!
Achtung, es kommen neue Gäste herein, die für die Fotos notwendigen Sekunden sind vorbei, du solltest weitergehen.‹
Doch die Fotografen hören nicht auf, ihren Namen zu rufen. Es ist ihr peinlich, denn die Nächsten – es handelt sich um ein Paar –, müssen warten, bis die Fotografen zufriedengestellt sind, was nie der Fall sein wird, weil sie immer den idealen Winkel, das einzige Foto (als wenn das möglich wäre!), einen direkten Blick in das Objektiv ihrer Kamera wollen.
›Verabschiede dich jetzt! Lächle immer weiter!
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