Der Sieger bleibt allein (German Edition)
Geh weiter!‹
Als sie am Ende des Korridors angelangt ist, wird sie von einer Gruppe Journalisten umringt. Sie wollen alles über den großen Vertrag mit einem der wichtigsten Modedesigner der Welt wissen. Jasmine möchte am liebsten sagen: »So stimmt das nicht.«
»Wir prüfen gerade die Details«, ist ihre Antwort.
Sie lassen nicht locker. Eine Fernsehkamera und eine Reporterin mit einem Mikrofon in der Hand kommen auf sie zu. Die Reporterin fragt, ob sie glücklich über diese Wende in ihrem Leben sei. Ja, antwortet sie, die Modenschau sei großartig gelaufen. Als Nächstes werde Anna Dieter – sie nennt extra den Namen der Designerin – eine Show auf der Modewoche in Paris haben.
Die Journalistin scheint nicht zu wissen, dass an diesem Nachmittag deren Kollektion gezeigt wurde, und stellt vor laufender Kamera noch weitere Fragen.
›Sei konzentriert, gib nur Antworten, die dir nützen, und nicht solche, die sie dir zu entlocken versuchen! Tu so, als kenntest du die Einzelheiten nicht, und rede nur über den Erfolg der Modenschau, die verdiente Hommage für Ann Salens, das vergessene Genie, das nicht das Privileg hatte, in Frankreich geboren zu sein!‹ Ein junger Mann, der sich offenbar für witzig hält, fragt sie, wie sie die Gala findet. Jasmine gibt ebenso ironisch zurück: »Sie haben mich ja noch nicht hineingehen lassen.« Ein ehemaliges Model, das jetzt Fernsehmoderatorin bei einem Privatsender ist, fragt sie, welche Gefühle die Tatsache in ihr ausgelöst habe, zum Gesicht der nächsten hh -Kollektion ausgewählt worden zu sein. Ein besser informierter Journalist möchte wissen, ob es stimme, dass sie einen mehr als sechsstelligen Betrag im Jahr verdienen werde:
»Sie hätten in der Pressemitteilung siebenstellig schreiben sollen, finden Sie nicht? ›Mehr als sechsstellig‹ ist doch etwas unsinnig, finden Sie nicht? Sie hätten besser ›mehr als eine Million Euro‹ sagen sollen, statt Leser und Publikum die Stellen vor dem Komma zählen zu lassen, finden Sie nicht? Sie hätten auch Nullen anstatt Stellen vor dem Komma sagen können, finden Sie nicht?«
Jasmine findet gar nichts.
»Wir prüfen das«, wiederholt sie. »Bitte lassen Sie mich etwas frische Luft schnappen. Wenn es geht, werde ich später weitere Fragen beantworten.«
Das ist natürlich gelogen. Später wird sie ein Taxi nehmen und nach Hause fahren.
Jemand fragt, warum sie kein Kleid von Hamid Hussein trage.
»Ich habe heute Nachmittag für Anna Dieter gearbeitet.«
Sie legt Wert darauf, Annas Namen zu nennen. Einige notieren ihn sich, andere gehen einfach darüber hinweg – sie sind wegen einer Nachricht, einer Neuigkeit hier, die sie veröffentlichen wollen, und nicht, um die Wahrheit hinter den Fakten zu erfahren.
Die Ablaufzwänge bei einem solchen Ereignis retten sie: Auf dem ›Korridor‹ hört man wieder die Fotografen rufen. Wie von einem unsichtbaren Dirigenten geführt, wenden sich die Journalisten, die sie gerade umringt hatten, von ihr ab, weil sie jemanden sehen, der berühmter, wichtiger ist als sie. Jasmine nutzt das sekundenlange Zögern der Presse, geht bis zur Brüstung des schönen Gartens, der in einen Salon verwandelt wurde, in dem nun die Leute trinken, rauchen, herumspazieren.
Bald wird auch sie trinken, rauchen, in den Himmel schauen, kurz auf die Brüstung klopfen, sich umdrehen und dann gehen.
Aber eine Frau und ein merkwürdiges Wesen – er sieht aus wie ein Android aus einem Science-Fiction-Film – starren sie an und versperren ihr den Weg. Beide wirken etwas verloren, vielleicht sollte sie sie einfach ansprechen. Sie stellt sich vor. Das merkwürdige Wesen zieht sein Mobiltelefon aus der Tasche, verzieht das Gesicht, entschuldigt sich, er müsse kurz weg.
Die junge Frau bleibt stehen, und ihr Blick sagt: ›Du hast mir den Abend verdorben‹.
Jasmine bereut, die Einladung zu der Gala angenommen zu haben. Zwei Männer hatten die Einladung überbracht, als sie mit ihrer Lebensgefährtin gerade zu einem kleinen Empfang der Belgian Clothing Association aufbrechen wollte, dem belgischen Mode-Dachverband. Aber alles hat auch seine guten Seiten: Anna Dieters Kleid wird auf den Fotos zu sehen sein, falls diese veröffentlicht werden. Vielleicht würde ja jemand recherchieren, wer die Designerin des Modells ist, und Annas Namen abdrucken.
Die Männer, die ihr die Einladung überbracht hatten, waren sehr höflich gewesen. Sie sagten, draußen warte eine Limousine, und ein so erfahrenes
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