Der silberne Buddha
wenigen hundert Metern sah er Mac Withney an der verabredeten Stelle stehen.
„Wie ein Schäfer...“ kommentierte er bissig Withneys Aufzug. Mac Withney steckte in einem wadenlangen Lodenmantel und hatte den Hut weit ins Gesicht gezogen. In der Rechten hielt er einen Diplomatenkoffer, der (so fand Drake) zu seinem übrigen Habitus paßte wie ein Kamelreitsattel auf einen Wildschweinrücken. Gordon Drake selbst trug trotz der bevorstehenden Aktion einen anthrazitfarbenen Zweireiher, ein dunkles Hemd und eine ebensolche Krawatte mit einer Perle darin.
Er bremste ab, und Mac Withney sprang grinsend neben ihn.
„Tolles Schiff. Ein BWM, woher?“
„Von einem Parkplatz am Royal Hospital!“ gab Gordon Drake Auskunft und fuhr spöttisch fort: „Wenn du in der Faust noch einen langen Stecken tragen würdest, könnte dich niemand von einem Schäfer aus dem schottischen Hochland unterscheiden.“
„Stimmt, das ist ein Schäfermantel. Es klingt, als ob du was dagegen hättest.“
Drake, der darauf achtete, daß er nicht zu schnell fuhr, machte eine unwillige Handbewegung.
„Bei unseren früheren Unternehmungen hast du dich auch nicht kostümiert. Warum diesmal?“
„Aber das ist doch keine Verkleidung!“ protestierte Withney und klopfte sich vor die Brust.
„Wie nennst du einen Mann, der mitten in der Nacht mitten in London in einem langen Schäfermantel, einem Schäferhut und einem Diplomatenkoffer „Marke Außenminister“ herumsteht oder -läuft?“
Mac Withney biß sich auf die Lippen und schwieg.
Gordon Drake hieb aufs Lenkrad. Seine Stimme klang gereizt: „Siehst du, genau das meine ich auch!“
„Reg dich wieder ab!“ versuchte Withney Drake zu beschwichtigen. „Ich lasse Mantel und Hut im Auto, wenn wir dann aussteigen.“ Er wandte sich um und musterte den in einem beigen Stoffüberzug steckenden Cellokoffer.
„Ist da ein Cello drin?“
„Es war ein Cello drin. Jetzt steht es nackt und bloß im Konzerthaus in der Kings Road.“
Mac Withney schüttelte den Kopf. „Du hast wirklich Nerven. Erst einen Cellokasten stehlen, dann ein Auto und schließlich in ein Museum einbrechen.“
„In eine Ausstellung!“ verbesserte Gordon Drake. Er warf einen flüchtigen Blick in den Rückspiegel, doch außer einem entfernt hinter ihm fahrenden Wagen war weit und breit nichts Verdächtiges zu sehen.
Sicher wäre er weniger beruhigt gewesen, hätte er in das Innere dieses Wagens sehen können.
Es war eine Minute nach 2 Uhr, als sie in die Shadwell Lane einbogen. Sie mußten einige Zeit suchen, bis sie eine Lücke zwischen den hier geparkten Autos entdeckten. Endlich stand der BMW zwischen einem hellen Ford Mustang und einem Citroen-Lieferwagen. Gordon Drake fluchte leise, als er den Motor abstellte.
„Ein teuflischer Platz.“
„Fahren wir doch woanders hin!“ schlug Mac vor.
„Nein, das ist zu riskant. Unsere Freiheit kann davon abhängen, daß wir recht schnell wegkommen. Wie spät ist es?“
Mac Withney hielt den Arm so, daß die Straßenbeleuchtung seine Uhr erhellte.
„Vier Minuten nach zwei!“ Drake nickte und begann sich dünne Lederhandschuhe überzustreifen. Sein Kompagnon tat es ihm gleich.
„Knall die Tür nicht zu, wir wollen nach Möglichkeit niemanden auf wecken.“
Sie stiegen aus und drückten die Türen leise zu. Drake öffnete anschließend die Fondtür und zog den Instrumentenkoffer heraus.
Kein Mensch war auf der engen Straße zu sehen, als sie im Hof Shadwell Lane Nr. 12 verschwanden. Doch drei- bis vierhundert Meter von diesem Punkt entfernt, kurz vor der Einmündung der Shadwell Lane in die Saldon Street, trat in diesem Augenblick ein kleiner Mann aus einem Hauseingang und schritt auf ein in der Saldon Street geparktes Auto zu. Es handelte sich dabei um einen schon ziemlich betagten Austin.
Die Stille, die in dem finsteren Hof herrschte, hatte etwas Bedrohliches an sich. Auch die schwarzen Flächen der Hausfassaden, die den Hof im Viereck umschlossen, wirkten feindselig und voller Abwehr. Geräuschlos überquerten die beiden Männer mit dem seltsamen Gepäck die asphaltierte Hoffläche. Alles an ihnen war Gespanntheit und Fluchtbereitschaft.
Als plötzlich in irgendeinem Keller mit dumpfem Schlag der Brenner einer Heizung ansprang, fuhren sie zusammen.
Gordon Drake ging leicht gebückt — eine Haltung, die er sich bei seinen diversen ungesetzlichen Unternehmungen angewöhnt hatte. Vielleicht lag es an seiner Körpergröße, daß er sich, unbewußt, versuchte
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