Der silberne Buddha
„Hallo, Patrick!“
Latin zweifelte keine Sekunde daran, daß dieser Versprecher beabsichtigt war. Sozusagen als Erinnerungshilfe dafür, daß der Mann aus London wußte, was es mit seiner Identität auf sich hatte.
Leise schloß Latin die Tür hinter Drake.
Gordon Drake stellte den Instrumentenkoffer neben die Garderobe und ging auf die Tür zu seiner Rechten zu.
„Dein Atelier, wenn ich mich recht erinnere!“
„Dafür, daß du nur einmal kurz hier warst und das auch schon knapp vier Jahre her ist, hast du ein gutes Gedächtnis!“ erwiderte Latin kalt.
Drake ließ sich in eine Sitzschale fallen. Der kühle Empfang beeindruckte ihn in keiner Weise, ja er schien ihn erwartet zu haben. Mit einem leisen, unaufdringlichen Lächeln stellte er fest:
„Du würdest mich lieber auf dem Mond oder wenigstens am Nordpol sehen, stimmt’s?“
„Stimmt!“ pflichtete ihm Latin ohne weiteres bei.
Gordon Drake fuhr fort: „Du lebst jetzt seit vier Jahren in Bath, hast einen Job, Freunde, eine Wohnung, Erfolg und Anerkennung. Und ein unfreundliches Hobby — du gehst Angeln!“ Letztere Feststellung traf Drake, nachdem er das fertig zusammengepackte Angelzeug erkannte. „Bis auf einen unsympathischen, falschen Namen bist du also glücklich und zufrieden.“
„Ich habe dem nichts hinzuzufügen!“ gab Latin verkniffen zu und er spürte, wie sich auf seiner Stirn ein feuchter Film bildete.
„Rundherum ein ehrenwerter Bürger der Gesellschaft von Bath.“
„Du hast was vergessen, Drake“, versuchte sich Latin zu verteidigen. „Ich habe mir, seitdem ich hier bin, nicht das geringste zuschulden kommen lassen.“
Gordon Drake nickte. Er tat es ernsthaft, ohne Spott und Ironie. „Manchmal gelingt das dem einen oder anderen. Er muß nur den richtigen Zeitpunkt zum Abspringen erwischen.“
„Hast du es schon mal probiert?“
Das Lächeln um Gordons Mund verstärkte sich. „Nein. Und ich will dir auch gleich den Grund sagen: Ich hatte bisher keine Lust, es zu probieren.“
„Dann bist du krank... unheilbar kriminell!“
„Vielleicht ist das wirklich eine Krankheit. Noch fühle ich keinerlei Schmerzen. Und ich bereite auch wesentlich weniger Schmerzen als du mit deiner Angel.“
Latin sah erstaunt auf. „Fische verspüren keine Schmerzen, wenn sie anbeißen.“
„Ach, haben sie dir das gesagt?“
„Es ist wissenschaftlich erwiesen!“
„Scheißwissenschaft, die so was behauptet. Behauptet deine Wissenschaft auch, daß der Wurm, den du über den Haken ziehst, ebenfalls keine Schmerzen empfindet? Gott, wie macht ihr es euch alle leicht.“
Robert Latin starrte Gordon Drake wortlos an. Eigentlich zum ersten Mal sah er ihn so aufgebracht, so gereizt. Ein Mann, der vom Stehlen und Betrügen lebte, erregte sich bei dem Gedanken an eventuelle Schmerzen von Fischen und Würmern. Mit einer gewissen Genugtuung registrierte er die hektischen roten Flecken im Gesicht seines ungebetenen Besuchers.
„Ich werde zu allem, was er mir vorschlägt, nein sagen!“ nahm er sich vor. Denn daß Drake mit einem Anliegen kam, stand für ihn außer jedem Zweifel. Gordon Drake war kein Mann, der grundlos stundenlang durch die Gegend fuhr. Er reiste nicht von London nach Bath, nur um einen Mann zu besuchen, dem er vor längerer Zeit einmal aus der Patsche geholfen hatte. Oder??
Aber nein! Da war zum Beispiel der Instrumentenkoffer...
Was enthielt er?
Wirklich ein Instrument?
Gordon Drake, der inzwischen seine Ruhe zurückgewonnen hatte, lächelte sein Gegenüber mit der gleichen Freundlichkeit an wie vorher.
„In deinem Gesicht kann man lesen wie in einem aufgeschlagenen Buch, Robert! Du fragst dich, was ich von dir will. Warum ich plötzlich in dein so ehrlich gewordenes Leben einbreche. Sicher befürchtest du, daß ich dich daran erinnern könnte, daß ich es war, der dir den falschen Paß besorgte und somit den neuen Start ermöglichte.“
Latin schwieg. Was sollte er auch sagen. Jedes dieser Worte stimmte.
„Ich war noch nie ein Freund von Aufrechnungen.“ Gordon Drake winkte ab. „Entweder man erweist Gefälligkeiten, weil man jemandem helfen will, oder aber man tätigt Geschäfte. Wenn ich mich recht erinnere, erwies ich dir seinerzeit eine Gefälligkeit.“
Er erhob sich, holte den Cellokoffer aus der Diele und stellte ihn auf den Tisch. Während er das Futteral aufknöpfte, erklärte er: „Was mich heute zu dir führt, ist ein ganz normales Geschäft, für das ich bezahle. Es hat sogar mit deinem Beruf
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