Der silberne Sinn
Polizisten hindurch zu Saraf. Schließlich gab er der Streifenbeamtin das Bild zurück. »Was hat er angestellt?«
»Das dürfen wir Ihnen nicht sagen.«
»Ist er gefährlich?«
»Das dürfen wir Ihnen auch nicht sagen.«
»Trägt er eine Waffe?«
»Das…«
»Dürfen Sie mir ebenfalls nicht sagen«, unterbrach der Standbesitzer die kauende Beamtin.
Saraf spürte die Zweifel des Hot-Dog-Verkäufers. Der Mann besaß, aus welchen Gründen auch immer, ein tief sitzendes Misstrauen gegenüber der Polizei. Nur um ihn nicht in Versuchung zu bringen, sagte der Silbermann zu der Polizistin: »Ich habe Hunger.«
Die beiden Beamten drehten sich zu ihm um, vermieden aber direkten Augenkontakt. Sie fühlte sich von diesem Penner abgestoßen, der sie da anbettelte. »Schick dich!«, sagte der Streifenwagenfahrer und deutete die Straße hinab.
Hierauf wandten sich die beiden wieder dem Stand zu. Dessen Besitzer starrte sie entgeistert an, blickte zu Saraf, dann wieder in die begehrlichen Mienen der Polizisten. Die Gesetzeshüter empfanden urplötzlich einen Heißhunger auf Hot Dogs.
»Geben Sie mir noch drei!«, befahl die üppige Beamtin.
»Und mir auch«, schloss sich ihr Kollege an.
Der Standbesitzer witterte ein gutes Geschäft und kam der Bestellung umgehend nach.
Nun begann ein beispielloses Fressen. Auf den Uniformen der Gesetzeshüter klebten bald sämtliche Zutaten, mit denen man einen Hot Dog veredeln konnte. Die Polizistin erreichte ihr Limit bei zwölf »heißen Hunden«, ihr Kamerad hatte schon bei der Hälfte aufgegeben. Als sich die beiden am Straßenrand übergaben, löste der Hot-Dog-Verkäufer die Bremsen seines Imbissstandes, um einen appetitlicheren Platz anzusteuern. Mit dem Kopf gab er Saraf einen Wink, ihm zu folgen.
Als er außer Hörweite war, fragte er: »Der auf dem Foto warst doch du, oder?«
Saraf grinste. »Du hast es also bemerkt?«
»Was hast du wirklich angestellt?«
»Ich helfe Menschen, ihre Gefühle zu ergründen.«
»Und was soll daran kriminell sein?«
»Das kann ich dir auch nicht sagen.«
»Der dünne Cop hat noch zwei Hot Dogs bezahlt, aber nicht gegessen. Willst du sie haben?«
Saraf strahlte über das ganze Gesicht. »Gerne!«
Das Verspeisen der beiden »heißen Hunde« hatte in unmittelbarer Nachbarschaft zum ursprünglichen Stützpunkt des »einfachen Berts« stattgefunden. Unter diesem Namen (»Sag einfach Bert zu mir«) hatte sich der Hot-Dog-Verkäufer Saraf vorgestellt und ihm noch einen dritten Hund (»Auf Kosten des Hauses«) spendiert, bevor er dann weitergezogen war. Der Silbermann vertilgte seine Beute restlos. Nicht eine Gurkenscheibe blieb übrig.
Dann erst wurde Sarafs Interesse von dem Elektroladen angezogen, in dessen Sichtweite er sich immer noch befand. Hinter dem Schaufenster standen die neuesten Fernsehermodelle, und in einem besonders großen Exemplar glaubte Saraf Yeremis Gesicht gesehen zu haben. Sofort lief er zu dem Geschäft.
Es hatte noch nicht geöffnet. Aber der Ton der Sendung war auch auf dem Gehweg zu verstehen. Das Frühstücksfernsehen des eingestellten Kanals wurde von einem Paar bestritten, das sich redlich Mühe gab, gute Laune zu verbreiten. Die beiden Moderatoren sahen so aus, als hätten sie in einer braunen Tinktur gebadet, und ihre Gesichter wirkten auf eine künstliche Weise ebenmäßig. Im Plauderton sprachen die beiden über Professor Yeremi Bellman. Zwischendurch wurden immer wieder Bilder oder Kurzfilme gezeigt. Je länger Saraf die Sendung verfolgte, desto mehr Beherrschung kostete es ihn, nicht laut aufzuschreien.
Seit dem Nachmittag des 2. Januar versuche man schon, eine Stellungnahme von Professor Bellman zu erhalten. Man habe sie aber bisher noch nicht einmal aufspüren können, beklagte sich der weibliche Part des Gute-Laune-Duos. Das männliche Gegenstück rasselte für die gerade erst aus dem Bad gekommenen Zuschauer noch einmal die Liste der Anklagepunkte herunter, die man der Anthropologin zur Last legte.
Die eigene Lage erschien Saraf plötzlich unbedeutend. Yeremi hatte sich für ihn aufgeopfert, und nun musste sie dafür leiden. Aus Halb Wahrheiten war da ein Lügenkerker gezimmert worden, in den man sie einzusperren gedachte. Das durfte er nicht zulassen.
Seine Hand wanderte zur Brusttasche des Jacketts. Das Handy war nicht mehr da – Mr T-Bone hatte es vermutlich längst verflüssigt. Saraf blickte einem vorbeifahrenden Streifenwagen nach. Die Insassen sahen ihn nicht. Wie konnte er Yeremi helfen?
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