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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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macht keinen Sinn, meine Lieblingsfamula einsperren zu lassen. Halten Sie sich an unsere Abmachung, und ich regele das mit den Behörden.«
    »Sie wollen sagen, mit Jeff Flatstone.«
    McFarells entspannte Miene litt unter Yeremis neu erwachender Aufmüpfigkeit keinen Schaden. Sichtlich gelöst antwortete er: »Flatstone ist und bleibt ein Teil unseres Handels, darüber sollten Sie sich im Klaren sein.«
    Mit zitternden Knien ging Yeremi zur Tür. Die Innenflächen ihrer Hände waren feucht. Ihr Herz klopfte wie wild. Sie drehte sich noch einmal zu dem Sicherheitsbeamten um, der im Treppenaufgang Posten bezogen hatte, einem kaum dreißigjährigen Puertoricaner mit einem freundlichen, ovalen Großen-Jungen-Gesicht.
    »Gehen Sie schon«, ermunterte er sie.
    Yeremi klopfte zaghaft an die Tür. Aus der Wohnung drang das Geräusch von Schritten, die sich rasch näherten. Dann stand Saraf vor ihr.
    Er zog sie in die Wohnung, ließ die Tür ins Schloss fallen und umarmte sie. Yeremi wäre in diesem Augenblick vor Glück fast zersprungen. Die beiden Tage ohne ihn waren erschreckend leer gewesen. Sie bedeckte sein Gesicht mit Küssen. Bis er sie sanft von sich schob.
    »Wir müssen vorsichtig sein.«
    Sie verstand nicht, wie er das meinte, wollte es nicht verstehen. »Es ist mir egal, ob ich neben dir dahinwelke«, sagte sie unter Tränen.
    Saraf küsste sie, merkwürdig distanziert, auf die Stirn und zog sie dann in sein winziges Zimmer. Dort bot er ihr einen Stuhl an und nahm selbst Platz. Unter der Dachschräge gegenüber stand ein Bett. Hinter Yeremi befand sich eine Miniaturküche. Kleiderschrank, Esstisch und Sitzgelegenheiten in dem Raum bestanden aus Buchenholz. Helles Parkett und ein ovaler blauer Teppich rundeten das freundliche Ambiente ab. Auf dem Tisch stand sogar eine Vase mit einer bizarren Orchidee, die mit ihren orangefarbenen, roten und grünen Blütenblättern wie ein exotischer Vogel aussah.
    »Vermutlich haben die Wände hier Ohren«, sagte der Silbermann und gab sich nicht die geringste Mühe, leise zu sprechen.
    Im Überschwang ihrer Gefühle hatte Yeremi überhaupt nicht daran gedacht. War das der Grund für Sarafs Zurückhaltung? »Geht es dir gut? Ich habe mir große Sorgen um dich gemacht.«
    Er nickte. »Ja. Morgen sollen die Untersuchungen beginnen.«
    »Professor McFarell erlaubte mir, dabei zu sein.«
    »Ich habe die Menschen in deiner Welt falsch eingeschätzt, Jerry.«
    Sie stutzte. Meinte er das ernst?
    Saraf bemerkte ihr Zögern und fügte hinzu: »Du musstest durch mich viel Leid ertragen. Kannst du mir vergeben?«
    Am liebsten wäre Yeremi ihm sofort wieder um den Hals gefallen, aber sie tat es nicht. Gab es in diesem Raum vielleicht auch Kameras? Wusste Saraf von diesen »Augen«? Sie lächelte unbehaglich. »Dir verzeihen? Ich hätte es längst getan, wenn es da irgendetwas gäbe…«
    »Nun bin ich bereit, alles zu ertragen, was immer man mir abverlangt. Hauptsache, dir geht es gut, Jerry.«
    Mehrere Herzschläge lang blickte Yeremi ihn argwöhnisch an. An dieser merkwürdig sterilen Unterhaltung stimmte etwas nicht. Seine hellen Augen schienen zu ihr sprechen zu wollen, aber sie verstand die Sprache nicht. Doch plötzlich, wie aus heiterem Himmel, kam ihr eine Eingebung: Saraf wollte mit ihr fliehen.
     
     
    Fünf Tage Gefangenschaft. Auf diesen Nenner brachte Yeremi die Zeit auf dem Campus von Berkeley. Universitäten seien per se Institutionen des freien Lebens und Gedankenaustauschs, hieß es. Aber das stimmte nicht. Jedenfalls nicht uneingeschränkt. Spätestens seit den terroristischen Anschlägen vom 11. September 2001 hatte man auch auf den Hochschulen die Sicherheitsvorkehrungen verschärft. Man fürchtete sich davor, Nattern am eigenen Busen zu nähren. So fiel es kaum auf, dass rings um die Casa Joaquin Murrieta Posten stationiert waren. Ihre Fürsorge galt jedoch nicht der Abwehr von Spionen oder Terroristen. Sie bewachten ausschließlich den Silbermann und seine Begleiterin.
    Das universitätseigene Wohnhaus befand sich an der Piedmont Avenue, zwei Blocks von der südöstlichen Ecke des Campus entfernt. Professor McFarell hatte ausrichten lassen, er habe Saraf Argyr und Yeremi hier einquartieren müssen, weil sich in der kurzen Zeit direkt auf dem Hochschulgelände keine Unterkunft organisieren ließ. Neben zweiundzwanzig winzigen Wohneinheiten besaß die Casa eine Bibliothek, ein Computerzimmer und große Räume zum Studieren. Es herrschte strenges Alkoholverbot. Die per

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