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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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emporblickte, stöhnte er: »Wir könnten Jahre in diesem Dickicht herumirren und trotzdem keinen Höhleneingang finden.«
    »Das ist der Dschungel«, erwiderte Yeremi lächelnd, »man sieht niemals alles sofort, und es gibt immer wieder Überraschungen.«
    Saraf Argyr steckte sich zwei Finger in den Mund und pfiff. Verwundert lauschten die Forscher der komplizierten Tonfolge. Von oberhalb der Wand ertönte, wie es schien, ein Echo, das nur bei genauerem Hinhören als andersartiges Signal zu erkennen war.
    »Silbo! Sie kommunizieren miteinander durch Pfiffe!«, staunte Hamilton-Longhorne.
    »Das ist so neu nicht«, sagte Yeremi.
    »Nein, aber zumindest bemerkenswert. Auf Gomera verständigen sich die Nachkommen der Guanchen, der Ureinwohner, heute noch durch diese Pfeifsprache.«
    »Auf den Kanarischen Inseln? Vor Afrika? Das höre ich zum ersten Mal!«, staunte Leary.
    Yeremi warf ihm einen geringschätzigen Blick zu. »Dann kann es ja auch zur Mehrung deines Wissens beitragen, wenn du dir Folgendes notierst: Diesseits des großen Teiches hat man vor Erfindung des Funktelefons ebenfalls schon drahtlos Nachrichten ausgetauscht, und ich rede nicht von den Rauchzeichen der nordamerikanischen Indianer. Auch die Indios von Mexiko und Patagonien kennen eine dem Silbo sehr ähnliche Form der Verständigung.«
    »Kein Wunder, wenn die Weißen Götter ihr Wissen nach Amerika exportiert haben.«
    Yeremi verdrehte die Augen zum Himmel.
    »Vielleicht liegt Al mit seiner Vermutung gar nicht so verkehrt«, sagte Abby.
    »Und wie kommst du darauf?«, fragte Yeremi.
    »Ich habe die ganze Zeit über die Namen unserer Begleiter nachgedacht. Agando, Bentamor, Hupalpa und Ugranfir – bei den Guanchen klingen sie ganz ähnlich…«
    Sarafs Stimme mischte sich unaufdringlich in die Unterhaltung der Experten. Als Yeremi ihn ansah, deutete er die Wand hinauf. Dort stand eine weiß gekleidete Frau und schaute zu der Gruppe herab.
    »Der Weg zum Dach des Waldes ist jetzt frei«, übersetzte Wachana die Worte des Silbermannes.
    Über eine schmale Steintreppe gelangten die Ankömmlinge auf den Felsen hinauf. Yeremi schätzte, dass dieser Zugang von einem einzigen Wächter gegen eine ganze Armee verteidigt werden könnte.
    Der halb von Pflanzen bedeckte Pfad war von unten unsichtbar gewesen. An seinem Ende lag ein kahles Felsplateau, das etwas größer als ein Basketballfeld war und weitgehend von den Ästen der umstehenden Bäume überschattet wurde. Jenseits der zerklüfteten grauen Hochfläche setzte sich der dichte Pflanzenbewuchs bis zum Gipfel des mehr als elfhundert Meter hohen Berges fort. Obwohl einzelne Baumwipfel sogar das Dach des Waldes überragten, gewährten freie Lücken dazwischen einen grandiosen Ausblick auf den Dschungel der südlichen Wassarais, vermutlich sogar bis weit nach Brasilien hinein.
    »Und wo ist jetzt der Eingang?«, fragte Leary ungeduldig, als seine Augen die Felsplatte abgesucht, aber bis auf die Empfangsdame nichts Nennenswertes entdeckt hatten.
    »Nur einen Steinwurf weit entfernt. Adma wird euch den Weg zeigen«, antwortete Saraf und deutete auf die Frau, die gemessenen Schrittes zum Rand des Plateaus vorausging.
    Ihr blondes Haar wallte, ungebändigt von Spangen oder Bändern, über den Rücken hinab. Insgeheim verglich sich Yeremi mit der schlanken Fremden, die nur geringfügig größer war als sie selbst, jedoch deutlich weiblicher proportioniert. Adma trug eine lange Hose und darüber eine gürtellose Tunika, die über die Knie reichte, beide aus feinstem Stoff. Yeremi bewunderte neidlos ihre Schönheit und Anmut.
    Hinter den Besuchern bildeten Saraf und seine Begleiter die Nachhut. Wachsam blickten die Silbernen sich um. Al Leary hielt sich das Walkie-Talkie vor den Mund und drückte die Sprechtaste.
    »Hermes an Basislager. Basislager, bitte kommen.« Er ließ die Taste wieder los. Aus dem Lautsprecher des Funkgeräts drang nur statisches Rauschen.
    Irma schmunzelte. »Hermes? Der Götterbote?«
    »Das ist nur sein Nebenjob. Im Hauptberuf ist er der Gott der Schelme und Diebe«, erwiderte Yeremi ernst.
    »Wie originell!«
    »Al war früher beim Militär.«
    Irma hob die Augenbrauen und nickte. »Alles klar!«
    »Hier spricht Hermes. Basislager, bitte melden Sie sich. Kommen«, wiederholte Leary. Die Abordnung des Großen Rates verfolgte das Gespräch mit dem grauen Kasten interessiert.
    Endlich ertönte knackend und rauschend die Antwort. »Hier Basislager. Unsworth am Mikro. Was gibt’s,

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