Der Simulant
gestützt, sagt sie: »Bevor es zu spät ist. Ich frage mich, ob Victor ein Recht darauf hat zu erfahren, wer er wirklich ist.«
»Sag ’ s ihm doch einfach«, sage ich. Ich hole ihr was zu essen, eine Schale Schokoladenpudding, und ve r suche, ihr den Löffel in den Mund zu schieben. »Ich kann ihn anrufen«, sage ich, »dann ist Victor in wen i gen Minuten hier.«
Unter der kalten dunkelbraunen Haut ist der Pudding heller und riecht nicht gut.
»Nein, das geht nicht«, sagt sie. »Ich habe so schli m me Schuldgefühle, dass ich ihn nicht mal ansehen kann. Ich kann mir nicht mal vorstellen, wie er darauf reagieren würde.«
Sie sagt: »Vielleicht ist es besser, wenn Victor das nie erfährt.«
»Dann sag es mir«, sage ich. »Red ’ s dir vom Herzen«, sage ich und verspreche, es Victor nicht weiterzus a gen, es sei denn, sie erlaubt es mir.
Sie blinzelt mich an, die alte Haut zieht sich fest um ihre Augen zusammen. Schokoladenpudding klebt in den Falten um ihren Mund. Sie sagt: »Aber wie soll ich wissen, ob ich dir vertrauen kann? Ich weiß ja nicht mal genau, wer du bist.«
Ich sage lächelnd: »Aber natürlich kannst du mir ve r trauen.«
Und ich schiebe ihr den Löffel in den Mund. Der schwarze Pudding bleibt einfach auf ihrer Zunge li e gen. Immer noch besser als ein Magenschlauch. Nun ja, jedenfalls billiger.
Ich entferne die Fernbedienung aus ihrer Reichweite und sage zu ihr: »Schlucken.«
Ich sage zu ihr: »Du kannst auf mich hören. Du musst mir vertrauen.«
Ich sage: »Ich bin es. Ich bin Victors Vater.«
Und ihre trüben Augen werden ganz groß und starren mich an, während der Rest ihres Gesichts, die verru n zelte Haut, im Kragen ihres Nachthemdes zu ve r schwinden scheint. Mit einer furchtbar gelben Hand macht sie das Kreuzeszeichen. Der offene Mund sinkt ihr auf die Brust. »Ach, du bist er, du bist zurückg e kommen«, sagt sie. »Ach, guter Vater. Heiliger V a ter«, sagt sie. »Bitte, verzeih mir.«
11
Ich rede mit Denny, schließe ihn in den Stock, die s mal, weil er den Stempel irgendeines Nachtklubs auf dem Handrücken hat. Ich sage: »Mann.«
Ich sage: »Es ist alles so verrückt.«
Denny hält mir die Hände hin, damit ich sie einschli e ßen kann. Das Hemd hat er ordentlich in die Hose g e steckt. Er weiß, wie er die Knie zu beugen hat, um den Rücken zu entlasten. Er vergisst nie, auf die Toilette zu gehen, bevor er eingeschlossen wird. Unser Denny ist ein echter Experte im Bestraftwerden geworden. Im guten alten Dunsboro ist Masochismus eine nützliche Fähigkeit.
Beziehungsweise in den meisten Jobs.
Gestern im St. Anthony ’ s, erzähle ich ihm, war es g e nau wie in diesem alten Film mit dem Maler, du weißt schon, er führt ein wildes Leben und wird hundert Ja h re alt und sieht einfach immer gleich aus. Dafür wird das Bild, das er von sich gemalt hat, immer hässlicher und kaputter vom Saufen und so weiter, und weil er Syphilis und Tripper hat, fällt ihm auf dem Bild sogar die Nase ab.
Die Insassen im St. Anthony ’ s haben alle die Augen zu und summen vor sich hin. Alle lächeln und sind ganz tugendhaft.
Außer mir. Ich bin dieses bescheuerte Bild.
»Du kannst mir gratulieren, Mann«, sagt Denny. »Weil ich dauernd in den Stock geschlossen werde, habe ich es jetzt schon auf vier Wochen Enthaltsamkeit g e bracht. Das sind ungefähr vier Wochen mehr, als ich jemals geschafft habe, seit ich dreizehn bin.«
Die Zimmergenossin meiner Mutter, sage ich, Mrs. Novak, ist jetzt ganz ruhig und zufrieden, nachdem ich endlich gestanden habe, dass ich es war, der ihr die Erfindung der Zahnpasta gestohlen hat.
Eine andere Frau plappert fröhlich wie ein Papagei, seit ich zugegeben habe, dass ich es bin, der ihr jede Nacht ins Bett pinkelt.
Ja, sage ich zu allen diesen Leuten dort, ich war das. Ich habe dein Haus niedergebrannt. Ich habe dein Dorf bombardiert. Ich habe deine Schwester depo r tiert. Ich habe dir 1968 einen schönen neuen Nash Rambler verkauft. Ja, und dann habe ich deinen Hund getötet.
Also komm drüber weg!
Häuft alle Schuld auf mich, sage ich ihnen. Macht mich zum großen passiven Sündenbock in eurer Schuldo r gie. Ich nehme alles auf mich.
Und nachdem sie alles über mir ausgegossen haben, sind sie alle glücklich und zufrieden. Sie umdrängen mich, lachen ausgelassen, tätscheln mir die Hand und sagen, ja, nun ist alles gut, sie verzeihen mir. Sie nehmen wieder zu. Das ganze Damenkränzchen pla p pert auf mich ein, und dann kommt diese ziemlich
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