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Der Simulant

Der Simulant

Titel: Der Simulant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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Ausg e brannten ist jeder einzelne Insasse im St. Anthony ’ s in der Vergangenheit gefangen.
    Ich bin da keine Ausnahme, und du brauchst dich auch nicht für eine zu halten.
    Genau wie Denny in den Stock geschlossen ist, ist Eva in ihrer Entwicklung stecken geblieben.
    »Du«, sagt Eva und stößt mit einem zitternden Finger nach mir. »Du hast meiner Mimi wehgetan.«
    Diese gefangenen alten Leute.
    »O ja, du hast gesagt, das ist nur ein Spiel«, sagt sie kopfwackelnd und verfällt in einen Singsang. »Unser Spiel, unser Geheimnis, aber dann hast du mir dein großes Männerding da reingesteckt.« Ihr knochiger dünner Finger zeigt auf meinen Hosenschlitz.
    Im Ernst, schon bei der Vorstellung will mein großes Männerding kreischend aus dem Zimmer laufen.
    Schlimm ist nur, dass alle anderen im St. Anthony ’ s genauso drauf sind. Eines dieser Skelette glaubt, ich hätte mir mal fünfhundert Dollar von ihm geliehen. Eine andere ausgeleierte Alte hält mich für den Teufel.
    »Und du hast mir wehgetan«, sagt Eva.
    Wenn man hier ist, fällt es einem sehr schwer, sich nicht für jedes Verbrechen der Menschheitsgeschichte verantwortlich zu fühlen. Am liebsten würde man allen diesen zahnlosen Alten ins Gesicht schreien. Ja, ich habe das Kind von Lindbergh entführt.
    Die Sache mit der Titanic? Das war ich.
    Die Ermordung Kennedys? Ja, geht auf mein Konto.
    Der Zweite Weltkrieg? Die Atombombe? Na, was meint ihr? Habt ihr alles mir zu verdanken.
    Das Aidsvirus? Tja, ich kann ’ s eben einfach nicht la s sen.
    Einen Fall wie Eva behandelt man am besten mit A b lenkungsmanövern. Man lenkt sie mit Bemerkungen über das Essen oder das Wetter ab, oder man sagt was Nettes über ihre Frisur. Ihre Konzentrationsspa n ne ist kaum länger als eine Sekunde; da fällt es nicht schwer, sie auf ein erfreulicheres Thema zu bringen.
    Man kann sich vorstellen, dass alle Männer in Evas Leben so mit ihrer Feindseligkeit umgegangen sind. Einfach ablenken. Nicht hinhören. Konfrontation ve r meiden. Weglaufen.
    Nicht viel anders schummeln wir alle uns durchs L e ben. Mit Fernsehen. Rauchen. Selbstmedikation. I r gendwelche Zerstreuungen. Wichsen. Alles abstreiten.
    Sie beugt den ganzen Körper nach vorn, ihr zitternder Finger zeigt immer noch auf mich.
    Scheiß drauf.
    Sie blickt dem Tod schon ziemlich nah ins Auge.
    »Ja, Eva«, sage ich. »Ich habe dich genagelt.« Ich gähne. »Genau. Ich hab ihn dir bei jeder Gelegenheit reingesteckt und dir ‘ ne Ladung verpasst.«
    So was nennt man Psychodrama. Im Prinzip ist es auch nichts anderes, als wenn man seine Oma au s setzt.
    Ihr krummer, dünner Finger welkt, und sie l ässt sich in den Rollstuhl zurücksinken. »Also gibst du es endlich zu«, sagt sie.
    Das nennt man Rollenspieltherapie, nur dass Eva nicht weiß, dass es nicht wirklich wahr ist.
    Ihr Kopf schwankt immer noch hin und her, aber ihr Blick lässt mich nicht los. »Und es tut dir nicht Leid?«, fragt sie.
    Na ja, wenn Jesus für meine Sünden sterben konnte, kann ich ja wohl ein paar Sünden anderer Leute auf mich nehmen. Jeder von uns bekommt mal die Cha n ce, den Sündenbock zu spielen. Schuld auf sich zu nehmen.
    Das Märtyrertum des heiligen Ich.
    Die Sünden aller Männer der Menschheitsgeschichte landen auf meinem Rücken.
    »Eva«, sage ich. »Geliebte, Schätzchen, kleine Schwester, Liebe meines Lebens, natürlich tut es mir Leid. Ich war ein Schwein«, sage ich und sehe auf die Uhr. »Aber du warst so eine scharfe Braut, dass ich die Beherrschung verloren habe.«
    Als ob ich diesen Scheiß nötig hätte. Eva starrt mich mit ihren großen Basedowaugen an, bis aus einem eine dicke Träne quillt und über die Puderschicht auf ihrer runzligen Wange läuft.
    Ich verdrehe die Augen und sage: »Okay, ich habe deiner kleinen Mimi wehgetan, aber verdammt, das ist achtzig Jahre her, also komm endlich darüber hinweg. Es gibt Wichtigeres im Leben.«
    Sie hebt die furchtbaren Hände, verbraucht, mit Adern wie Baumwurzeln oder alte Möhren, und schlägt sie vors Gesicht. »Ach, Colin«, sagt sie. »Ach, Colin.«
    Sie nimmt die Hände herunter, ihr Gesicht ist ganz nass von Augensaft. »Ach, Colin«, flüstert sie. »Ich verzeihe dir.« Der Kopf sinkt ihr auf die Brust, ihr Kö r per bebt in kurzen Atemstößen, die furchtbaren Hände greifen nach dem Lätzchen, mit dem sie sich die A u gen trocknet.
    Wir sitzen einfach so da. Was würde ich jetzt für einen Kaugummi geben. Meine Uhr sagt zwölf Uhr fünfun d dreißig.
    Sie

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