Der Simulant
große Schwester vorbei und sagt: »Sie sind ja ein ec h ter Hahn im Korb.«
Denny schnieft.
»Brauchst du das Rotztuch, Mann?«, frage ich.
Seltsam ist bloß, dass es meiner Mutter nicht besser geht. Egal, wie erfolgreich ich bei den anderen den Rattenfänger spiele und ihnen die Schuldgefühle ne h me. Egal, wie viele Sünden ich absorbiere, meine Mu t ter glaubt einfach nicht mehr, dass ich es bin, dass ich Victor Mancini bin. Und deshalb will sie mir ihr großes Geheimnis nicht anvertrauen.
Und deswegen muss ich ihr doch mit so was wie einem Magenschlauch kommen.
»Enthaltsamkeit ist ja schon mal nicht schlecht«, sagt Denny, »aber eines Tages würde ich gern mal anfa n gen, etwas richtig Gutes zu tun, anstatt bloß nur was Schlechtes nicht zu tun. Verstehst du?«
Was noch seltsamer ist, sage ich, ich überlege, wie ich meine neue Beliebtheit dazu ausnutzen kann, diese große Schwester zu einer schnellen Nummer in der Besenkammer zu bewegen. Vielleicht könnte sie mir sogar einen blasen. Wenn du mit hoffnungslosen alten Leuten so geduldig bist, halten Schwestern dich für einen netten, fürsorglichen Zeitgenossen, und dann hast du sie praktisch schon genagelt.
Siehe auch: Caren, staatlich geprüfte Krankenschwe s ter.
Siehe auch: Nanette, stattlich zugelassene Kranke n schwester.
Siehe auch: Jolene, stattlich zugelassene Kranke n schwester.
Aber egal, mit wem ich es treibe, mein Kopf steckt immer in dieser anderen. In Dr. Paige Soundso. Mar s hall.
Und egal, wen ich gerade bumse, ich muss immer an große infizierte Tiere denken, an überfahrene Wasc h bären, die von Gasen aufgebläht in der grellen Sonne auf der Landstraße liegen und in einem fort von schnellen Lastwagen überrollt werden. Entweder das, oder mir geht gleich einer ab, so scharf spukt mir Dr. Marshall dauernd im Kopf herum.
Komisch, dass man nie an die Frauen denkt, die man schon hatte. Sondern immer an die, die man nicht kriegen kann.
»Der Süchtige in mir ist so stark«, sagt Denny, »dass ich einfach Angst habe, wenn ich nicht eingeschlossen bin. Ich will aber mehr im Leben haben als bloß den Wunsch, nicht dauernd zu wichsen.«
Von anderen Frauen, sage ich, egal welchen, kann man sich vorstellen, wie sie genagelt werden. Rittlings auf dem Fahrersitz in einem Auto, dein dickes heißes Rohr, das ihren G-Punkt bearbeitet, irgendwo hinterm Scheideneingang. Oder du siehst sie über den Rand des Whirlpools gebückt, wie sie von hinten gerammelt wird. Du verstehst schon, sie, in ihrem Privatleben halt.
Aber diese Dr. Paige Marshall, die steht anscheinend darüber, sich flachlegen zu lassen.
Über uns kreisen irgendwelche geierartigen Vögel. Nach der Vogelzeit müsste es ungefähr zwei Uhr sein. Ein Windstoß wirft Denny die Rockschöße über die Schultern, und ich ziehe sie ihm wieder runter.
»Manchmal«, sagt Denny schniefend, »wünsche ich mir geradezu, geschlagen und bestraft zu werden. Dass es keinen Gott mehr gibt, ist okay, aber ich möchte doch noch was haben, das ich respektieren kann. Ich will nicht der Mittelpunkt meines eigenen Universums sein.«
Da Denny den ganzen Nachmittag in den Stock g e schlossen ist, muss ich das ganze Kaminholz allein spalten. Ich muss allein das Getreide mahlen. Das Schwein einpökeln. Die Eier durchleuchten. Der Rahm muss abgeschöpft werden. Die Schweine abgespritzt. Man sollte gar nicht glauben, dass es im achtzehnten Jahrhundert so hektisch zugegangen ist. Wenn ich schon die ganze Arbeit für ihn mache, sage ich zu Dennys gebeugtem Rücken, könnte er wenigstens mit mir zusammen meine Mutter besuchen und sich als mich ausgeben. Um ihr die Beichte abzunehmen.
Denny stöhnt den Boden an. Aus sechzig Metern Höhe schnippt ihm einer der Geier einen fiesen weißen Klumpen auf den Buckel.
Denny sagt: »Mann, ich brauche eine richtige Aufg a be.«
Ich sage: »Dann tu diese eine gute Tat. Hilf dieser alten Frau.«
Und Denny sagt: »Wie weit bist du mit deiner vierten Stufe?« Er sagt: »Mann, hier an der Seite juckt ’ s mich. Kannst du mich da mal kratzen?«
Sorgfältig der Vogelkacke ausweichend, kratze ich ihn.
12
Im Telefonbuch gibt ’ s immer mehr rote Tinte. Immer mehr Restaurants sind mit rotem Filzstift durchgestr i chen. In jedem dieser Lokale bin ich fast gestorben. Italiener. Mexikaner. Chinesen. Abend für Abend schrumpfen meine Möglichkeiten, auswärts essen zu gehen, wenn ich damit Geld verdienen will. Wenn ich irgendwen dazu bringen will, mich zu lieben.
Die Frage
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