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Der Simulant

Der Simulant

Titel: Der Simulant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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Klemmbrett am oberen Rand und hebt mit der anderen Hand ein paar Blätter an: Darunter kommt etwas Rotes zum Vorschein.
    Das Tagebuch meiner Mutter.
    Sie reicht mir das Tagebuch und sagt: »Du kannst die Fakten selbst überprüfen. Das solltest du wirklich m a chen. Schon dir selbst zuliebe.«
    Ich nehme das Buch, aber da steht nur dummes Zeug drin. Okay, dummes Zeug auf Italienisch.
    Und Paige sagt: »Das einzig Gute dabei ist, es gibt keine absolute Sicherheit, dass das verwendete gen e tische Material tatsächlich von der historischen Gestalt herrührt.«
    Alles andere stimmt, sagt sie. Die Daten, die Kliniken, die Fachärzte. Und die Kirchenleute, mit denen sie gesprochen hat, haben beteuert, dass das gestohlene Material, das in der Klinik gezüchtete Gewebe, die ei n zige jemals für authentisch erklärte Vorhaut gewesen sei. Sie sagt, die Geschichte habe in Rom für einen riesigen politischen Wirbel gesorgt.
    »Das einzig andere Gute daran ist«, sagt sie, »dass ich keinem erzählt habe, wer du bist.«
    Lieber Gott, sage ich.
    »Nein, ich meine, wer du jetzt bist«, sagt sie.
    Und ich sage: »Ich habe nur aufgestöhnt.«
    Ich komme mir vor, als hätte ich gerade ein sehr n e gatives ärztliches Untersuchungsergebnis erfahren. Ich sage: »Was soll das heißen?«
    Paige zuckt mit den Achseln. »Genau genommen gar nichts«, sagt sie. Sie zeigt auf das Tagebuch, das ich in der Hand halte, und sagt: »Ich rate dir, das zu ve r brennen, es sei denn, du willst dir dein Leben ruini e ren.«
    Ich frage, wie sich das auf uns auswirkt, auf uns be i de?
    »Wir sollten uns nicht mehr sehen«, sagt sie, »falls du das meinst.«
    Ich sage, sie glaubt diesen Mist doch nicht wirklich, oder?
    Und Paige sagt: »Ich habe dich mit den Patienten hier beobachtet, wie ruhig und zufrieden sie sind, nachdem sie mit dir gesprochen haben.« Sie beugt sich vor, stützt die Ellbogen auf die Knie und das Kinn in die Hände und sagt: »Ich darf einfach nicht das Risiko eingehen, dass deine Mutter die Wahrheit ausplaudert. Es kann doch nicht jeder, mit dem ich in Italien g e sprochen habe, geisteskrank gewesen sein. Na ja, was, wenn du nun wirklich der erhabene göttliche Sohn Gottes wärst?«
    Die heilige und vollkommene sterbliche Manifestation Gottes.
    Ein Rülpser arbeitet sich aus meiner Verstopfung hoch, und kurz darauf habe ich einen ätzend sauren G e schmack im Mund.
    »Morgendliches Erbrechen« ist nicht der richtige B e griff, aber der erste, der mir dazu einfällt.
    »Du willst also sagen, dass du nur mit Sterblichen schläfst?«, sage ich.
    Und Paige, wie sie so vorgebeugt dasitzt, bedenkt mich mit diesem mitleidigen Blick, den auch die Em p fangsschwester so gut beherrscht: das Kinn an die Brust gedrückt, die Augenbrauen bis zum Haaransatz hochgezogen. Sie sagt: »Tut mir so Leid, dass i ch mich eingemischt habe. Ich werde keiner Mensche n seele davon erzählen, versprochen.«
    Und was ist mit meiner Mutter?
    Paige zuckt seufzend mit den Achseln. »Kein Problem. Sie hat Wahnvorstellungen. Ihr glaubt niemand.«
    Nein, ich meine, wird sie bald sterben?
    »Wahrscheinlich«, sagt Paige, »falls nicht doch noch ein Wunder geschieht.«

37
    Ursula macht eine Verschnaufpause und sieht mich an. Sie schüttelt die Finger einer Hand, umfasst mit der anderen das Handgelenk und sagt: »Wenn du ein Bu t terfass wärst, wäre die Butter schon seit einer halben Stunde fertig.«
    Ich sage: ‘ tschuldigung.
    Sie spuckt sich in die Hand, ballt die Faust um meinen Schwanz und sagt: »Das sieht dir überhaupt nicht ähnlich.«
    Ich tu schon lange nicht mehr so, als ob ich wüsste, was mir ähnlich sieht.
    Wieder mal ein ereignisloser Tag im Jahre 1734, also haben wir uns im Stall auf einen Heuhaufen geworfen. Ich liege auf dem Rücken, die Hände hinterm Kopf, und Ursula hat sich zwischen meinen Beinen zusa m mengerollt. Wir bewegen uns möglichst wenig, weil uns sonst das trockene Heu durch die Kleider sticht. Wir schauen beide nach oben: Dachgebälk, dazw i schen die geflochtene Unterseite des Strohdachs. Spinnen hängen an ihren Fäden herab.
    Ursula fängt wieder an, mich zu bearbeiten, und sagt: »Hast du Denny im Fernsehen gesehen?«
    Wann?
    »Gestern Abend.«
    Was war denn?
    Ursula schüttelt den Kopf. »Er baut da irgendwas. Die Leute beschweren sich. Glauben, es soll eine Kirche werden, aber er sagt nicht, was für eine.«
    Es ist schon kläglich, dass wir mit Dingen, die wir nicht verstehen, nicht leben können. Dass wir für alles ein

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