Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Simulant

Der Simulant

Titel: Der Simulant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
Vom Netzwerk:
seinem Ohr, um zu sehen, wie nahe die Flamme schon gekommen ist, und sagt: »Beth, wird ’ s nicht allmählich brenzlig?«
    Und Beth sieht mich an und sagt: »Victor?«
    Und ich sage: »Alles in Ordnung.«
    Beth lehnt sich an der Anrichte noch weiter nach hi n ten, wendet das Gesicht ab, um nichts sehen zu mü s sen, und sagt: »Das kommt mir wie eine verrückte Folter vor.«
    »Vielleicht«, sage ich, »vielleicht hat anfangs nicht einmal Jesus an sich geglaubt.«
    Und ich beuge mich über Dennys Gesicht und puste mit einem Stoß die Flamme aus. Ich fasse Denny am Kinn, damit er sich nicht bewegt, und ziehe ihm den Rest des Röhrchens aus dem Ohr. Ich zeige es ihm: An dem Papier klebt eine bräunliche Masse, das O h renschmalz, das das Feuer herausgesogen hat.
    Beth macht das Licht an.
    Denny zeigt ihr das verbrannte Röhrchen, und Beth riecht daran und sagt: »Das stinkt.«
    Ich sage: »Vielleicht braucht man zum Wunderwirken eine besondere Begabung, die man erst mal mit kle i neren Sachen entwickeln muss.«
    Denny hält sich eine Hand auf das saubere Ohr und nimmt sie wieder weg. Dann wiederholt er das Ganze und sagt: »Eindeutig besser.«
    »Ich meine das nicht so, als ob Jesus so was wie Ka r tentricks vorgeführt hat«, sage ich. »Vielleicht hat er nur damit angefangen, anderen Menschen nicht we h zutun.«
    Beth kommt näher, sie hält sich mit einer Hand die Haare fest, bückt sich und späht in Dennys Ohr. Sie blinzelt, dreht den Kopf hin und her und sieht sich die Sache aus verschiedenen Winkeln an.
    Ich rolle ein zweites Stück Papier zu einem Röhrchen und sage: »Ich habe gehört, ihr seid gestern im Fer n sehen gewesen.«
    Ich sage: »Tut mir Leid.« Ich drehe das Röhrchen fest zusammen und sage: »Das war meine Schuld.«
    Beth richtet sich auf und sieht mich an. Sie schüttelt ihr Haar nach hinten. Denny bohrt mit einem Finger in dem sauberen Ohr herum, zieht ihn raus und riecht daran.
    Das Papierröhrchen in der Hand, sage ich: »Von jetzt an strenge ich mich an, ein besserer Mensch zu sein.«
    In Restaurants ersticken, andere Leute hereinlegen – so einen Scheiß werde ich nicht mehr machen. Mit irgendwelchen Frauen schlafen oder ähnlichen Scheiß.
    Ich sage: »Ich habe bei der Stadt angerufen und mich über euch beschwert. Ich habe beim Fernsehen ang e rufen und denen da einiges erzählt.«
    Ich habe Bauchschmerzen, aber ob die von Schuldg e fühlen oder Verstopfung herrühren, kann ich nicht s a gen.
    So oder so, ich bin randvoll mit Scheiße angefüllt.
    Eine Sekunde lang spüre ich Erleichterung, als ich aus dem dunklen Fenster über der Spüle in die Nacht hi n ausblicke. In der Fensterscheibe spiegelt sich mein Gesicht, verlebt und hager wie das meiner Mutter. Das neue, tugendhafte, womöglich göttliche Ich. Daneben Beth, die mit verschränkten Armen dasteht und mich ansieht. Und Denny, der am Tisch sitzt und sich in dem verklebten Ohr herumkratzt. Dann sieht er unter dem Fingernagel nach, ob da was hängen geblieben ist.
    »Eigentlich wollte ich nur, dass ihr auf meine Hilfe a n gewiesen seid«, sage ich. »Ich wollte, dass ihr mich um Hilfe bittet.«
    Beth und Denny sehen mir ins Gesicht, und ich sehe uns drei gespiegelt in der Fensterscheibe.
    »Ja, klar«, sagt Denny. »Ich brauche deine Hilfe.« Und zu Beth sagt er: »Wie war das denn mit uns beiden im Fernsehen?«
    Beth zuckt mit den Achseln und sagt: »Ich glaub, das war am Dienstag.« Sie sagt: »Nein, Moment mal, war das nicht heute?«
    Und ich sage: »Ihr braucht mich also?«
    Und Denny auf seinem Stuhl zeigt auf das Röhrchen, das ich vorbereitet habe. Er hält mir das verstopfte Ohr hin und sagt: »Mann, mach das noch einmal. Das ist echt gut. Mach mir das andere Ohr sauber.«

39
    Als ich zur Kirche komme, ist es dunkel und fängt an zu regnen. Nico wartet auf dem Parkplatz. Sie wühlt irgendwie in ihrem Mantel herum, plötzlich hängt ein Ärmel leer herab, aber schon fährt sie wieder mit dem Arm hinein. Dann greift sie von unten in den anderen Ärmel und zieht etwas hervor, das wie ein weißes Spitzentuch aussieht.
    »Bewahr das für mich auf«, sagt sie und gibt mir ein kleines warmes Knäuel aus Spitze und Gummibän d chen.
    Ihr BH.
    »Nur für ein paar Stunden«, sagt sie. » Ich habe keine Tasche.« Sie verzieht einen Mundwinkel zu einem L ä cheln und knabbert mit den oberen Schneidezähnen an ihrer Unterlippe. Regen und Straßenlaternen lassen ihre Augen funkeln.
    Ich nehme das Ding nicht. Ich sage: Ich kann nicht.

Weitere Kostenlose Bücher