Der Sixtinische Himmel
nicht.
»Deine Unschuld rührt mich, Aurelio«, sagte sie, als er nicht antwortete. »Nun, ich werde das tun, was alle hübschen, jungen Frauen tun, die es dieser Tage nach Rom zieht.«
Aurelio starrte in das Dunkel über ihm.
»Ich werde Kurtisane, mein Engel.«
Die Deckenbalken wölbten sich drohend aus dem Nichts. Eine Zeitlang war nur das unregelmäßige Schnarchen der Söldner zu hören.
»Was ist?«, fragte Margherita schließlich.
»Ich dachte nur … Um eine Hure zu werden, müsstest du nicht bis nach Rom …«
»Vorsicht!«, unterbrach ihn Margherita. Einer der Söldner verschluckte sich im Schlaf. »Eine Hure und eine Kurtisane sind nicht dasselbe. Nenn mich eine Hure, und du wirst mich kennenlernen! Eine römische Cortigiana ist eine ehrbare Frau. Rom ist die Stadt, in der Frauen, egal welchen Standes und welcher Herkunft, zu Königinnen aufsteigen können. Sofern sie schön und schlau genug sind, versteht sich.«
»Woher weißt du das alles?«
»Die ganze Welt weiß es, Aurelio. Nur du nicht, mein süßer Träumer. Vor ein paar Jahren hat Cesare Borgia in der Engelsburg eine Orgie mit fünfzig ehrbaren Dirnen veranstaltet, von der man sich heute noch erzählt. Diejenigen Gäste, die mit den meisten von ihnen den Akt vollziehen konnten, wurden mit Preisen bedacht. Auch der Papst war zugegen.« Ihre Hand streckte sich nach Aurelio aus, fand seinen Kopf und fuhr zärtlich durch seine Locken. Margherita senkte die Stimme. »Hast du etwa noch nie von der göttlichen Imperia gehört?«
In der Dunkelheit der Nacht, umhüllt von einer wärmenden Decke und geborgen in dem höhlenartigen Raum, der an die Rückseite der Stadtmauer grenzte, weihte Margherita ihren Begleiter in die Geheimnisse der Stadt ein, die sie selbst noch nie gesehen hatte. Von überallher, so erzählte sie, strömten Frauen nach Rom, um dort ihr Glück als Kurtisanen zu machen. Neben Italienerinnen zog es vor allem Spanierinnen, aber auch Französinnen, Deutsche und Griechinnen in die Ewige Stadt. Inzwischen sollte jede dritte Frau eine von ihnen sein. Und der Hunger Roms nach dem schönen Geschlecht war unersättlich. Der Hofstaat des Papstes, die Verwaltung, die Kardinäle mit ihren Haushalten, Botschafter, Gesandte … Die Stadt bestand aus einem Heer an zölibatär lebenden Männern, die alle wollten, was alle Männer wollen.
Viele Kurtisanen trugen ganz selbstverständlich die Kleidung römischer Patrizierinnen, ließen sich in Kutschen durch die Stadt fahren und auf offener Straße von Adligen und Geistlichen den Hof machen. Nicht wenige waren so vermögend, dass sie herrschaftliche Häuser oder Palazzi besaßen, und einige waren so berühmt, dass die Plätze, an denen sie wohnten, nach ihnen benannt waren. Manche lebten gar im Vatikan und gaben die römische Kurie als ihren Wohnsitz an.
Aurelio lag im Bett und war zu keiner Regung fähig. Von diesem Rom hatte er noch nie gehört. Margheritas Hand streichelte selbstvergessen seine Locken. »Was ist mit dieser Imperia?«, fragte er.
»Hätte ich mir denken können, dass dich vor allem die interessiert.« Margheritas Hand zog sich zurück. »Also schön: Damit du nicht als Unwissender in Rom eintriffst, werde ich dir erzählen, wer Imperia ist. Aber sei gewarnt, Aurelio, ihretwegen wurden schon Männer ermordet – wenn sie sich nicht gleich selbst entleibt haben.«
Imperia wurde derart umworben, dass die gesamte Oberschicht der Stadt, egal ob weltlich oder geistlich, sich einen Krieg um ihre Gunst lieferte. Die Liste ihrer Verehrer war länger als die der Hofangestellten des Papstes. Ihr Haus galt als Inbegriff geschmackvollen Überflusses. Einmal, als ihr der spanische Botschafter seine Aufwartung machte und das Bedürfnis verspürte zu spucken, benutzte er dafür das Gesicht seines Dieners. Alles andere in diesem Haus, so erklärte er, sei so schön, dass er es nicht zu beflecken gewagt hätte.
Seit einiger Zeit ließ Imperia ihre Gunst vor allem »Il Magnifico« zuteilwerden – so nannten die Römer den berühmten Bankier Agostino Chigi, den reichsten Mann des Kirchenstaates.
»Ich dachte, der Papst sei der reichste Mann im Land.«
»Du hast wirklich noch viel zu lernen, mein lieber Aurelio. Der Papst hat nichts als Schulden. Und jetzt rate, bei wem.«
»Bei Agostino Chigi.«
»Schnell gelernt. Gewiss sind Chigi und Imperia das berühmteste Liebespaar der Stadt.« Margherita schob einen Seufzer ein. »Zumindest offiziell.«
Während Margheritas Worte in seinem
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