Der Sixtinische Himmel
Kopf widerhallten, nahm in Aurelios Phantasie ein Rom Gestalt an, wie er es sich nie hätte erdenken können: ein leuchtendes Rom, eine Stadt aus Gold und Purpur, in der die Luft vom Duft frischer Orangen und dem Funkeln zahlloser Rubine und Smaragde erfüllt war. Er sah stolze Frauen in kunstvoll verzierten Kutschen, marmorne Palazzi mit lichtdurchfluteten Innenhöfen, Springbrunnen und prächtige Pferde mit Brokatüberwürfen.
»Wie meinst du das«, fragte er schließlich, »›zumindest offiziell‹?«
Margherita drehte sich wieder auf den Rücken. »Manchmal ist es besser, nicht alles zu wissen.« Offenbar betrachtete sie das Gespräch als beendet.
» Du warst es doch, die wollte, dass ich nicht als Unwissender nach Rom gehe«, wandte Aurelio ein.
Margherita schwieg. Aurelio wartete.
»Imperia ist sicher die meistbegehrte und -beneidete Frau Roms …« Sie senkte ihre Stimme. »Möglicherweise jedoch nicht die mächtigste.«
»Möglicherweise?«
»Es gibt … Gerüchte. Gerüchte, Aurelio, nichts weiter.«
Wie auf ein Zeichen stellten die Söldner das Schnarchen ein. Entfernt läutete eine Glocke zur Prima. Danach war es lange Zeit still.
»Du schläfst nicht«, flüsterte Aurelio schließlich.
»Wie kannst du das wissen?«
»Ich fühle es.«
»Soso, du fühlst es.« Margherita drehte sich wieder auf die Seite. Ihre Stimme war ein Hauch in der Dämmerung. »Es heißt, der Papst habe eine eigene Kurtisane. Doch niemand ist ihrer jemals ansichtig geworden. Es heißt, sie wohne streng bewacht in verborgenen Gemächern des Papstpalastes, die niemand außer dem Heiligen Vater persönlich betreten dürfe. Das Essen wird auf silbernen Wagen bis vor ihre Türen gefahren und erst von ihren Dienerinnen hereingetragen, wenn sich alle bis auf die Wächter zurückgezogen haben.«
Aurelio kamen die Worte seines Vaters in den Sinn: »Die Leute auf dem Markt in Forlì reden viel, Aurelio, und sie übertreiben gerne.« Nun, gegen den Markt in Rimini schien es auf dem in Forlì wahrlich bescheiden zuzugehen. Margherita rückte noch ein Stück näher an ihn heran. Ihr Atem streifte sein Ohr, als sie fortfuhr.
»Sie treibt ihn in den Wahnsinn, Aurelio. Es heißt, wenn Papst Julius Gottes Vertreter auf Erden ist, dann ist sie die Gesandte des Teufels. Und bei diesem Gefecht triumphiert der Teufel. Der Papst ist besessen von ihr. Kein Tag vergeht, an dem er nicht mindestens zweimal ihre Gemächer aufsucht, um sich ihr zu unterwerfen.«
Aurelio war hin- und hergerissen zwischen fassungslosem Entsetzen und ungläubiger Belustigung. Ein Rom, wie Margherita es beschrieb, konnte es nicht geben. Und einen Papst, der sich seiner Geliebten unterwarf … Das war völlig ausgeschlossen. Andererseits: Wenn es stimmte, dass Papst Julius sich bereits zu Lebzeiten ein Grabmal bauen ließ, das nicht weniger als vierzig Statuen schmücken sollten …
»Der Papst wirft sich niemandem zu Füßen«, behauptete Aurelio.
»Hör zu, Aurelio«, zischte Margherita. »Auch wenn sie für manche nur ein flammender Geist ist, der des Nachts von Zunge zu Zunge durch die Gassen der Stadt schwebt: Es gibt sie wirklich. Und es ist gefährlich, ihr zu begegnen.Wer sie unverhüllt zu Gesicht bekommt, dem lässt Julius die Augen blenden, und jedem, der öffentlich ihren Namen ausspricht, wird die Zunge herausgeschnitten.«
Wieder musste Aurelios an Tommaso denken. Wenn du nicht weißt, was du glauben sollst, hatte sein Vater stets gesagt, versuche dem Problem mit deinem Verstand beizukommen.
»Wenn niemand sie je gesehen hat«, überlegte Aurelio, »und niemand ihre Gemächer betreten darf … Woher weiß man dann von ihrer Existenz?«
»Manchmal verlässt eine geschlossene Kutsche den Vatikan, um durch die Straßen Roms zu fahren. Wenn sie anhält, entsteigt ihr eine verschleierte Gestalt, die außerdem Handschuhe trägt. Nirgends ist ein Stück ihrer Haut zu sehen, verstehst du? Eine Freundin, deren Schwager bei einem Tuchhändler in Rom arbeitet, hat mir davon erzählt. Wenn sie ein Geschäft oder eine Werkstatt betritt, gilt alles, was von ihren weißen Handschuhen berührt wird, als gekauft und muss noch am selben Tag in den Papstpalast geliefert werden. Auf diese Weise hat sie, ohne dass eine Silbe über ihre Lippen gekommen wäre, bei besagtem Tuchhändler ein halbes Dutzend der kostbarsten Brokatstoffe gekauft und ihm in wenigen Augenblicken den Umsatz eines halben Jahres beschert. Man weiß also, dass es sie gibt, auch wenn man nicht
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