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Der Sixtinische Himmel

Der Sixtinische Himmel

Titel: Der Sixtinische Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Morell
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schwankten wie trunken. Ludwig und seine Barbaren würden sich vor Lachen die Bäuche halten bei dem Anblick.
    Doch all das interessierte Aurelio nicht. Er hatte einzig Augen für den gepanzerten Kutschwagen, der, mühsam von vier Pferden gezogen, dem Papst und seiner persönlichen Eskorte folgte. Ein gefedertes Haus auf Rädern, das selbst einer Kanonade Alfonsos standgehalten hätte. Die Seiten zierte Julius’ Familienwappen: die Traubeneiche mit den zwölf goldenen Eicheln. Selbst vom Pincio aus war es problemlos zu erkennen. Am gesamten Wagen schien es keinen Winkel zu geben, der nicht mit einem Ornament verziert war. Selbst die Speichen der Räder waren mit goldenen Beschlägen geschmückt. Die prunksüchtige Lucrezia sollte nicht nur ihren Mann Alfonso fallen sehen, sie sollte sich zudem vor Neid über den päpstlichen Luxus die eigenen Fingernägel ins Fleisch bohren.
    Jeder auf der Piazza, vom Kleinkind bis zum Greis, wusste, wer in dem Kutschwagen saß: die Kurtisane, deren Namen auszusprechen einen die Zunge kostete; die Frau, die mehr Macht über den Papst besaß als irgendwer sonst und die ein Verlangen in ihm entfachte, das mühelos über seinen Verstand triumphierte. Eine Liebesgöttin, über deren wahres Aussehen nur Gerüchte kursierten, das sinnlichste Mysterium der Ewigen Stadt. Und unter den vielen tausend Menschen, die den Platz und die Straßen säumten, gab es nur zwei, die gesehen hatten, was sich unter dem weißen Schleier verbarg: Michelangelo und sein Gehilfe.
    Aurelio stieg das Blut zu Kopf, als sich der Umriss des Wagens im Schatten der Via del Corso abzuzeichnen begann, um wenig später daraus hervorzubrechen, den Platz in Besitz zu nehmen, das Licht auf sich zu ziehen und seine goldenen Strahlen über die Piazza zu werfen bis hinauf auf den Pincio. Wie oft hatte er sich gesehnt nach diesem Körper, wie oft Aphrodites Geruch nachgespürt, wie oft sich vorgestellt, ihre Haut zu berühren, in der Leiste, wie flüssige Bronze, ihre zarten Schlüsselbeine, ihren schwanenhaften Hals, ihre stolzen Brüste … Seit damals war kein Arbeitstag verstrichen, ohne dass er beim Wasserholen im Cortile zu ihren Fenstern emporgeblickt hätte. Ein Sehnen, das ihm in Fleisch und Blut übergegangen war wie ein Muttermal, das man immer wieder befühlte.

XLVI
    Aurelio atmete durch den Mund, doch auch das half nicht viel. Bis er die dritte Straßenkreuzung erreichte, war er kurz davor, sich zu übergeben. Der Gestank von Kot und Urin verklebte ihm die Nase und kroch in den Stoff seiner Trikothose, seines Hemdes, die Poren seiner Haut. Beim Gehen machten seine Bauernschuhe schmatzende Geräusche und hinterließen auf dem schimmernden Pflaster schlierige Abdrücke. Aurelio meinte zu spüren, wie unter ihm die Ausscheidungen der Stadt gärten und dabei alle möglichen Krankheiten hervorbrachten und wie dieser verhängnisvolle Sud durch die Erde nach oben drängte, hinauf auf die Straße.
    Begleitet von sich auf dem Fluss spiegelnden Fackeln, war er im nächtlichen Treiben am Ufer entlang bis zur Pons Aemilius gegangen, der gewaltigen Römerbrücke, die irgendwann eingestürzt war und unter der sich die Cloaca Maxima, der größte Abwasserkanal der Stadt, in den Tiber ergoss. Auf den Stümpfen der alten Brückenpfeiler fanden sich stets viele Angler ein, weil – Gestank hin oder her – der Unrat des Kanals die Fische in Schwärmen anlockte. Hier war Aurelio in eine Straße abgebogen, die zur Kirche San Giorgio mit ihrem weithin sichtbaren Glockenturm führte, um sich von dort in die Gassen des Velabro spülen zu lassen.
    Michelangelo hatte ihm erklärt, dass die flache Gegend zwischen Kapitol, Palatin und Tiber früher ein Sumpf gewesen war – bis Tarquinius auf die Idee verfiel, die Cloaca Maxima ausheben und so die Sümpfe trockenlegen zu lassen. Über Jahrhunderte war das Velabro später zu einer beliebten und belebten Gegend geworden, bevölkert von Straßenhändlern, Wahrsagern und Tänzern. Die besten Bäcker der Stadt sollten in diesen Straßen um die Gunst ihrer Kundschaft gewetteifert haben. Nur waren seit Tarquinius gut zweitausend Jahre vergangen.
    Inzwischen war das Velabro, insbesondere aber das Bordelletto genannte Gassengeflecht, das hinter Santa Maria in Cosmedin begann und sich in einem undurchsichtigen Wirrwar bis zum Westhang des Palatins zog, selbst eine Cloaca Maxima geworden. Jetzt, im August, war es am schlimmsten. Ständig brach das Abwassersystem zusammen, verstopften die Kanäle

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