Der Sixtinische Himmel
mit dieser Kurtisane bekannt – der mit den schönen Kleidern?«
Aurelio stieg schlagartig das Blut zu Kopf: »Ich weiß, wer sie ist«, antwortete er ausweichend.
»Und sie weiß, wer du bist«, streute Rosselli ein, der sich an die Feierlichkeiten anlässlich des römischen Sieges über Venedig erinnerte, als Margherita seinem Gehilfen vor aller Augen ihre Gunst bezeugt hatte.
»Wusstest du, dass sie in den Genuss einer Sfregia gekommen sein soll?«, fragte Granacci.
»Die Kurtisane mit den schönen Kleidern?«, fragte Rosselli.
Aurelio musste schlucken. »Hab davon gehört«, sagte er heiser.
»Hat mir die Kupplerin erzählt, die im selben Haus wohnt. Irgendein abgewiesener Freier hat ihr das Gesicht aufschlitzen lassen. Zu traurig …« Granacci straffte seine Trikothosen und schüttelte die Vorstellung ab. »Die Kupplerin meinte, sie sei jetzt eine Cortigiana da candela und habe sich einen neuen Namen zugelegt. Sie heißt jetzt nicht mehr ›die mit den schönen Kleider‹, sondern ›la velata‹, die Verschleierte, weil sie einen Schleier trägt, den sie niemals ablegt. Nicht einmal, wenn sie alles andere ablegt.« Granacci nahm sein schwarzes Samtbarett, strich mit dem Ärmel die Straußenfedern glatt, setzte es auf und rückte es zurecht. »Inzwischen wohnt eine andere Kurtisane in ihrer Wohnung. Nennt sich Saltarella. Die Möbel sind noch dieselben …« Er verlor sich in Erinnerungen. »Aber Saltarella ist … na ja, nicht wie die mit den schönen Kleidern. Übrigens«, er blinzelte Aurelio verschwörerisch zu, »ich würde dir nicht raten, das Haus noch einmal aufzusuchen. Als ich gehen wollte, stand plötzlich ein Mann mit einem Dolch im Torbogen und einem Gesicht wie eine Axt.«
»Was hat er gewollt?«, fragte Rosselli.
»Geld. So, wie es aussieht, hat die Kurtisane mit den schönen Kleidern nicht nur ihre Wohnung zurückgelassen, sondern auch Mietschulden.«
»Und was hast du gemacht – mit dem Mann, meine ich?«
»Ihm gesagt, dass ich in Diensten des Papstes stehe und er seine Forderungen gerne an die Kurie richten könne.«
XLV
»Michelangelo Buonarroti!«
Julius’ Stimme schnitt mit scharfer Klinge durch die schwere, stickige Sommerluft, die sich unter dem Gewölbe staute. An Tagen wie diesen rann ihnen auf der Arbeitsbühne bereits der Schweiß über die Stirn, ohne dass sie einen Finger dafür rühren mussten. Alles Leben erstarrte für einen Moment. Rosselli, Aurelio und Michelangelo blickten sich an. Schließlich trat der Bildhauer an den Bühnenrand. Der Papst stand in einem der kreisförmigen Steinmosaike wie im Zentrum einer Zielscheibe. Neben ihm hatte sich de’ Grassi in Stellung gebracht. Selbst von oben und aus der Entfernung vermittelte der päpstliche Zeremonienmeister den Eindruck, als hätte eigentlich er Papst werden sollen, ein Adeliger aus Bologna, statt des aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Julius.
Michelangelos Nase zischte verächtlich: »Heiliger Vater?«
»Steigt vom Gerüst herab.«
»Es tut mir leid, aber im Augenblick …«
»Steigt vom Gerüst!«
Michelangelo sah Rosselli und Aurelio an, legte den Pinsel aus der Hand, verdrehte die Augen und reichte seinem Gehilfen den kleinen Mörser, in dem dieser Terra di Siena vorbereitet hatte.
»Halte die Pigmente flüssig«, bat der Bildhauer, dann stieg er rückwärts die Leiter hinab.
Er habe vernommen, so Julius, dass die Arbeiten an der ersten Deckenhälfte abgeschlossen seien. Michelangelo würdigte de’ Grassi, der unablässig mit seinem Zeigefinger den Kragen seiner Soutane entlangstrich, keines Blickes. Er konnte sich auch so denken, von wem der Papst seine Informationen hatte. Bevor er, Buonarroti, die zweite Hälfte in Angriff nehme, um »für die nächsten Jahre hinter Planen zu verschwinden«, verlange er, Papst Julius Caesar der Zweite, die fertiggestellte Hälfte in Augenschein zu nehmen. Und zwar von da, wo er jetzt stehe.
»Ich soll die Planen abhängen und das bestehende Gerüst abbauen?«, fragte Michelangelo.
» Wer es abbaut, ist mir gleichgültig.«
»Aber Heiliger Vater, ich …«
»Ich verlange es!«
Wie immer verbeugte sich Michelangelo gerade so weit, dass es aussah, als wolle er Julius auf die Hörner nehmen. »Wie Ihr wünscht, Heiliger Vater.«
* * *
Bereits seit Wochen befand sich Julius in einer unheilvollen Verfassung. Seine Blutbahnen sprudelten über vor gelber Galle. Erst vor drei Tagen sollte er einem Kämmerer mit seinem gefürchteten Stock das
Weitere Kostenlose Bücher