Der Sixtinische Himmel
Haus blieb Margherita stehen. Die Rückseite grenzte an den Fluss, der Vorbau des Obergeschosses ragte über das Wasser. An der Fassade war noch der dunkle Streifen zu erkennen, den das letzte Hochwasser hinterlassen hatte. Hier, in direkter Ufernähe, war der Straßenlehm so aufgeweicht, dass er Aurelio beinahe die Schuhe ausgezogen hätte. Ein modriger Geruch nistete in den Winkeln. Unvermittelt wurde die Tür aufgestoßen, und ein schwacher Lichtschein erhellte die Gasse. Zwei Betrunkene polterten auf den Weg, staksten zunächst in die falsche Richtung, machten kehrt, torkelten an Margherita und Aurelio vorbei, ohne sie zur Kenntnis zu nehmen, und verschwanden im Dunkel von Trastevere. Kurz darauf war nur noch das Gurgeln des Tiber zu hören.
Margherita klopfte. »Hier ist es«, sagte sie, als erkläre sich alles andere von selbst.
Die Tür öffnete sich erneut, und unter dem niedrigen Balken erschien eine Frau in einem schwarzen, eng geschnürten Mieder. Mehr konnte Aurelio nicht von ihr erkennen.
»Ach, du bist es«, sagte sie, und als sie eintraten und Margherita eine neben der Treppe bereitstehende Kerze entzündete: »Da hast du aber einen hübschen Fang gemacht.«
Hinter Margherita stieg Aurelio die Stufen ins Obergeschoss hinauf. Auf der Treppe mischte sich der schwere Geruch von Wein und Schweiß mit dem von süßem, klebrigem Parfüm. Oben angekommen, zog Margherita einen Schlüssel aus einer Ritze des Türstocks und entriegelte eine der Kammertüren. Aurelio musste den Kopf einziehen, als er eintrat.
Die Kammer war karg. Ein Schemel, ein Tisch, ein Schrank, ein Bett, eine Waschschüssel mit Krug. Wären der Wandspiegel und die Koffertruhe ihres Mannes nicht gewesen, es hätte ebenso gut Michelangelos Kammer sein können.
»Es ist nicht, was du von meiner alten Wohnung gewohnt warst«, stellte Margherita fest und versuchte, es nicht wie eine Entschuldigung klingen zu lassen, »doch ich muss es wenigstens mit niemandem teilen.«
Sie blickte sich um, als sei auch sie zum ersten Mal hier. Aurelio konnte nicht erkennen, ob hinter ihrem Schleier eine Veränderung vor sich ging, doch es schien, als ob ihr Körper an Spannung verlor. Margherita hatte es verstanden, sich ihre Unabhängigkeit zu bewahren, doch diese Kammer war nicht, wofür sie nach Rom gekommen war. Nur ein oder zwei Schritte trennten sie noch von dem Schicksal, dem sie um jeden Preis hatte entgehen wollen: zu einer der zahllosen Gestrandeten zu werden, die mit hochfahrenden Plänen nach Rom kamen, um unbemerkt vom Rest der Welt ihren Lebenstraum zu Grabe zu tragen. Der Stolz, den sie auf dem Ponticello zur Schau getragen hatte, ihre überlegene Haltung, sie waren wie die Säulen der alten Tempel auf dem Forum Romanum, die mit letzter Kraft ihr Dach stützten, obwohl ihnen das Fundament bereits weggebrochen war.
Aurelio wandte den Kopf ab und richtete seinen Blick aus dem Kammerfenster, unter dem die Wasser des Tiber dahinströmten. Ein beruhigend gleichmäßiges Gurgeln stieg vom Fluss auf, der die Luft kühlte und ihr etwas von ihrer Last nahm.
»Es hat mich flussabwärts getrieben«, hörte er Margherita sagen, »von der Torre di Nona nach Trastevere.« Aurelio blickte weiter aus dem Fenster. Auf dem Tiber spiegelte sich der Mond an einem Dutzend Stellen gleichzeitig. »Doch untergegangen bin ich nicht.«
Er vernahm das Rascheln von Margheritas Kleid in seinem Rücken und ahnte, was es bedeutete. Es fühlte sich falsch an. Dass er hier war, fühlte sich bereits falsch an. Das Bett gab ein Knarzen von sich. Aurelio drehte sich um. Wie erwartet, hatte Margherita sich entkleidet und die Decke ihres Bettes zurückgeschlagen.
»Komm her«, sagte sie leise, »komm zu mir und lass uns so tun, als sei das hier«, sie deutete auf ihren Schleier, »nie geschehen.«
Sie ließ sich aufs Bett gleiten, mit nichts als ihrem Chaperon, und drehte ihren Körper ins Mondlicht. Der milchige Dunst verfing sich in den kupferfarbenen Haaren, die sich unter ihrer Kopfbedeckung hervorwellten, legte sich auf die Rundung ihrer Hüfte und glitt zwischen ihre Schenkel. Ihr Körper war so, wie Aurelio ihn in Erinnerung hatte. Und doch war er nicht mehr derselbe. Ihn anzusehen war nicht mehr dasselbe. Aurelio war nicht mehr derselbe.
»Du zögerst?«
Aurelio hatte keine Erklärung, die Margherita nicht verletzt hätte.
»Hör zu, mein schöner Prinz: Ich weiß, dass du nicht länger mir gehörst.«
Aurelio vermochte sich nicht von der Stelle zu
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