Der Sixtinische Himmel
Franzosen die Vorherrschaft der Venezianer zu brechen, hatte der Herzog von Ferrara noch erfolgreich die päpstlichen Truppen kommandiert. Kurz darauf hatte er dankenswerterweise noch die venezianischen Galeeren zerschossen. Jetzt jedoch, da Julius seinem göttlichen Auftrag folgte und eine – die! – Heilige Liga zu bilden bemüht war, um mit Hilfe der zuvor geschlagenen Venezianer die Franzosen zurückzudrängen, verweigerte der eitle Waffennarr dem Papst beharrlich die Gefolgschaft. Wie sollte Julius da nicht Gift und Galle spucken?
Alfonso, dieser Geck, war ihm verhasst wie kaum ein anderer. Selbstgefällig und starrköpfig saß er in seinem riesigen Castello Estense, das für sich genommen bereits eine Anmaßung darstellte, und ließ sich porträtieren, immer in Siegerpose und vorzugsweise in seiner kunstvoll geschmiedeten Edelrüstung. Noch dazu war er mit Lucrezia Borgia verheiratet, der Tochter von Julius’ ebenfalls leidenschaftlich verhasstem Vorgänger Alexander. Ganz Italien wusste, dass Lucrezia erst mit ihrem Vater und später mit ihrem Bruder Cesare das Bett geteilt hatte, bevor sie sich mit Alfonso d’Este hatte verheiraten lassen. Immerhin mit ihrem Bruder Cesare hatte Gott inzwischen ein Einsehen gehabt. Vor drei Jahren war er in seinem spanischen Exil in einen Hinterhalt gelaufen und erschlagen worden.
Alfonso jedoch saß nach wie vor in seinem Castello, hielt sich und seine Kanonen für unbezwingbar und stand Ludwig treu zur Seite. Das bedeutete Krieg. Krieg gegen Alfonso, und Krieg gegen Ludwig und seine Barbaren. Gott hatte sich Julius als Werkzeug erwählt, um den Kirchenstaat auf ganz Italien auszudehnen. Wenn dieses Werkzeug nun die Form eines Schwertes annehmen musste, um das Ziel zu erreichen … Nun, dann würde es das eben tun. In Gottes Namen.
Aber nicht allein. Gottes Werkzeug benötigte Unterstützung – weitere Werkzeuge, die sich in den Dienst der geheiligten Mission stellten. Doch auf wen konnte man zählen? Wer war verlässlich und effektiv zugleich? Die Söldnerhorden, die lustlos durch das Land marodierten, waren allesamt unbrauchbar. Seit Jahren beklagte Julius ihren mangelnden Kampfeswillen. Auf sie zurückzugreifen wäre wenig erfolgversprechend. Wer also könnte der Heiligen Liga die nötige Schlagkraft verleihen, um die Mission zum Erfolg zu führen? Innerhalb der Mauern des Vatikans wusste jeder, dass es Aphrodite war, die den Papst davon überzeugt hatte, dass es nur eine Lösung für dieses Problem gab. Die Wahl fiel nicht schwer. Im Grunde genommen gab es gar keine Wahl zu treffen. Wer sich des Erfolgs einer militärischen Operation sicher sein wollte, für den gab es nur eine Lösung: die Unterstützung der Eidgenossen. Noch nie waren die Schweizer im Felde bezwungen worden.
Julius’ Verhandlungen waren von Erfolg gekrönt: Er schloss eine Allianz, die ihm für die kommenden fünf Jahre die militärische Unterstützung der Schweizer zusicherte. Kaum war die Tinte unter dem Vertrag getrocknet, da versetzte der Papst die gesamte Kurie auch schon in Aufruhr und rüstete sofort zum Kampf. Ganz so, als fürchtete er, die fünf Jahre könnten im Herbst bereits vergangen sein. Michelangelos Fresko war bis auf weiteres zur Nebensache geworden.
Die von den Schweizern zugesicherten Soldaten hatten noch nicht einmal die Alpen überquert, da brach Julius bereits nach Ferrara auf. Gemeinsam mit seinem Neffen, dem Condottiere Francesco Maria della Rovere – einem zwanzigjährigen Milchgesicht –, führte er die päpstlichen Truppen an.
Zu Tausenden marschierten die geharnischten Fußsoldaten in der sengenden Julisonne von der Piazza Venezia kommend die glänzende Via del Corso hinauf und schließlich, begleitet von müden Posaunen- und Fanfarenklängen, unter dem Bogen der mit trägen Bändern geschmückten Porta del Popolo hindurch. Noch bevor sie die Stadt verlassen hatten, lief den meisten Soldaten der Schweiß in Strömen den Nacken hinab.
Michelangelo, Rosselli und Aurelio hatten sich unters Volk gemischt und verfolgten die zähe, sich durch das Tor zwängende Schlange aus Soldaten vom Pincio aus, dem Hügel, der sich zur Rechten der Piazza del Popolo erhob und einen Blick über ganz Rom gestattete. Das Klirren der Rüstungen unten auf dem Platz erfüllte die drückende Luft und kroch schwerfällig den Hang hinauf. Bis es Michelangelo, Rosselli und Aurelio erreichte, war nur noch ein kränkliches, heiseres Rasseln übrig. Die in den Himmel gestreckten Lanzen
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