Der Skorpion von Ipet-Isut
politischen Kalküls zu betrachten. Es war eben kein Stück Vieh, über das er verhandeln konnte. Es war Inys Fleisch und Blut und es war sein Enkel! Mit einem unterdrückten Seufzer erhob Amenemhat sich. „Ich glaube, du hast tatsächlich Recht, Meritamun. Ich werde versuchen, noch etwas Ruhe zu finden, ehe wir Waset erreichen.“
Er strich zärtlich über ihre Wange und ging an ihr vorbei ins Innere der Kajüte. Aber als er sich ausstreckte und die Augen schloss, war die quälende Frage wieder in ihm. Wie konntest du mir das antun, Nefertari? Sein Leben würde niemals mehr sein wie vor diesem Wissen.
Die beiden Schiffe lagen nebeneinander und eine Planke bildete die schmale Brücke, über die Kahotep jetzt schritt. Zwei seiner Priester, die Kiya stützten, folgten ihm. Der Erste Gottesdiener des Ptah hielt den Blick voraus gerichtet, unter den schattigen Baldachin, wo das Ziel seiner Reise saß. Er hatte keine Furcht vor dem, was kommen würde, zumindest nicht, soweit es seine eigene Person betraf. Als er damals Prinz Iny entgegen gereist war, hatten sein Herz und sein Kopf voller Eifer, Wünsche und Hoffnungen gesteckt. Diesmal war es leer in ihm. Der Mann, vor dem er sich jetzt nieder warf, hasste ihn, dass wusste Kahotep seit Jahren. Es war die gleiche Abscheu, die auch Senmut gegolten hatte. Nun war Amenemhat nicht mehr nur der Hohepriester von Ipet-Isut, er war Regent, und bald würde er der gesalbte Herrscher ganz Kemets sein. Der Auserwählte der Götter, der neue Pharao. Er, Kahotep, war nicht mehr als Staub unter seinen Füßen.
Würde Amenemhat ihn töten? Es war dem Ptahpriester relativ gleichgültig. Aber Kiya und ihr kleines Töchterchen Sat-Ptah sollten leben! Dieser Gedanke beseelte Kahotep, als er zu sprechen begann.
„Erhabener Erster Diener Amuns, ich danke dir für die Gnade des Empfangs. Ich bin nicht gekommen, damit deine Augen mich würdigen. Sondern um deinen Schutz zu erbitten für die Witwe Pharao Ramses – er lebe ewig…“ Kahoteps Stirn berührte das hölzerne Deck des Schiffes und er roch das eingeriebene Wachs. „…und für ihre neugeborene Tochter. Feinde in Waset trachten ihr nach dem Leben.“
Die Planken des Decks knarrten unter Schritten und ein leichter Windzug fächelte über Kahoteps Gesicht. Als er wagte aufzusehen, war der Thron vor ihm leer. Er stützte sich hoch, sah sich um und gewahrte Amenemhat neben Kiya, die Hände nach ihrem Kind ausstreckend. Kahotep stockte der Atem. Der Skorpion von Ipet-Isut würde das winzige Leben nicht gleich hier und eigenhändig auslöschen, vor aller Augen – oder?! In plötzlicher Panik nach Worten suchend stieß der Oberpriester hervor: „Erhabener… Die Götter haben dich mit ihrer Gnade gesegnet, Kemet von der Geißel seiner Feinde zu befreien! Und sie haben dir… das Leben dieses Kindes in die Hände gelegt… den letzten Spross der alten Dynastie, damit… es den Beginn einer neuen… segnen möge…“
Er stockte. Amenemhat drehte den Kopf, und Kahotep erblickte die so bekannte spöttische Herablassung in seinen Zügen. Aber diesmal war es nur eine zerbröckelnde Fassade, die Bitterkeit offenbarte.
„Dieses Kind ist kein Spross der alten Dynastie“, sagte Amenemhat leise, während er mit Sat-Ptah auf Kahotep zu trat. „Es hat sowenig Anspruch auf den Thron wie sein Vater ihn hatte. Iny war nicht Ramses’ Sohn, sondern… meiner.“
Die Worte trafen Kahotep wie eine plötzliche Sturmböe. Unwillkürlich griff er Halt suchend in die Takelage.
„Senmut hat seinem Lieblingsschüler dieses kleine Geheimnis nicht anvertraut, wie ich sehe.“
Der Ptahpriester schüttelte den Kopf, zu entsetzt, um irgendetwas zu sagen. Und Amenemhat hatte es ebenso wenig gewusst… Er hatte es nicht gewusst! Kahotep umklammerte eines der Spanntaue des Mastes, Senmuts Tod erneut vor Augen. Seine letzten Worte, seine Weisung… Das, was er bisher immer für seine Weisung gehalten hatte! All ihr Götter Kemets, murmelte er tonlos. DAS war es gewesen, was sein alter Lehrmeister von ihm gewollt hatte! Nicht, den Skorpion von Ipet-Isut zu zertreten…
Er wollte etwas sagen, aber seine Zunge fühlte sich an wie ein Klumpen Lehm.
„Wer waren die Feinde in Waset, von denen du sprachst, Diener des Ptah?“
„Nefertari“, flüsterte Kahotep. Es kostete ihn unverhältnismäßige Anstrengung. „Sie wollte, dass ich eine Botschaft nach… Men-Nefer schicke. Smendes sollte nach Waset kommen und sie würde ihm die Tore der Stadt
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