Der Skorpion von Ipet-Isut
öffnen.“
Wenn Amenemhat von diesem Verrat erschüttert war, so zeigte er es zumindest nicht. „Sorge für das Kind und seine Mutter. Ich will, dass ihr Schiff neben meinem fährt“, war alles, was er sagte, Kahotep die kleine Sat-Ptah in die Arme legend. Dieser presste das Baby mit einer fast instinktiven Bewegung an sich. Erst einen Augenblick später, als er wieder allein stand, begriff er. Amenemhat hatte ihm Kiya quasi zur Frau gegeben!
Das leise Wimmern der kleinen Sat-Ptah und die beruhigenden Worte ihrer Mutter waren zu hören, als beide zum zweiten Mal in diesen Stunden auf ihr Schiff zurück kehrten. Amenemhat wandte sich von der so zerbrechlich wirkenden Figur der jungen Mutter ab und ließ seine Augen den beiden anderen Gästen folgen, die ebenfalls sein Boot verließen: Smendes von Men-Nefer und dessen Sohn. Der Junge litt immer noch unter den überstandenen Strapazen und kämpfte mit einem leichten Fieber. Und wohl auch mit der überraschenden Wende, die ihn soeben zum Gemahl der Enkelin des neuen Pharao gemacht hatte! Einer Braut, die erst eine knappe Woche auf dieser Welt weilte! In einigen Monaten würde das Kind an den Hof des künftigen Ehemanns gebracht werden, um dort aufzuwachsen. Der Junge hatte zugesehen, wie sein Vater, Amenemhat und schließlich die blutjunge Mutter seiner kleinen Braut den Vertrag unterzeichnet hatten. Dann hatte er zittrig die Zeichen seines eigenen Namens auf den Papyrus gesetzt. Was genau dies alles für ihn bedeuten würde, darüber nachzudenken hatte er im Moment weder die Kraft noch die Weitsicht.
Kiya wiegte ihr Kind, während ihr Tränen über das Gesicht liefen und auf das kleine Bündel in ihren Armen tropften. Kahotep legte die Hand auf ihre Schulter. Auch für ihn hatte die vergangene Stunde eine Wendung gebracht, die er sich niemals erträumt hätte. Der Skorpion von Ipet-Isut hatte ihm nicht einen Dolch in den Leib gestoßen, ihn auch nicht jenseits der Grenzen Kemets verbannt… Noch immer ungläubig spürten Kahoteps Finger dem Abzeichen des königlichen Beraters auf seiner Brust nach. Dann wandte er sich an die junge Frau neben ihm.
„Ehrwürdige Kiya…“
Die Worte kamen ihm so unangemessen vor, und ganz offensichtlich empfand die junge Frau ebenso.
„Ich bin nur ein Pfand“, murmelte sie mit mühsam unterdrücktem Schluchzen. „Und mein kleiner Schatz hier ebenso! Man hat sie mir ganz einfach weggenommen! Ich habe nicht einmal etwas dagegen gesagt. Nefertari hatte Recht… Ich bin eine dumme Gans…“
„Deine Tochter wird es gut haben. Du wirst sie jeder Zeit sehen können. Dieser Bund wird den Frieden für Kemet sichern. Die Götter werden ihn segnen.“
„Nur ein Pfand…“ wiederholte Kiya leise und presste dann die Lippen zusammen, hinüber auf das andere Schiff blickend, auf dem der Mann stand, der soeben das Schicksal ihrer Tochter besiegelt hatte.
„Du bist noch so jung, Kiya. Ptah der Schöpfer wird dich noch mit vielen Kindern segnen“, fuhr der Oberpriester fort, hoffend, er würde zuversichtlich genug klingen, um ihren Schmerz zu lindern. Kiya erwiderte nichts. Aber nach einem Moment drehte sie sich um, ihre kleine Tochter fest im linken Arm, und barg ihr Gesicht an seiner Schulter.
Im abendlichen Dunst glitten Felder, weidende Schafe und Ziegen und flache Häuser am Ufer vorbei. Amenemhat ließ die Entscheidungen der letzten Stunden Revue passieren. Nicht nur, um seine Gedanken zu ordnen und festzustellen, ob es in seinem für die Zukunft Kemets gelegten Fundament einen brüchigen Stein gab, sondern auch, um sich von dem Gedanken an Nefertaris Verrat abzulenken. Smendes war mit einem Vertrag gebunden und sein Sohn mit einem kostbaren Ehegelöbnis. Die Gefahr der Libyer war beseitigt und dieser Sieg würde die ebenfalls unruhigen Nubier auf jeden Fall einige Zeit in Schach halten. Kahotep vom Tempel des Ptah würde als Berater an seiner Seite stehen – ganz gewiss immer genug Gegner, um sich nicht in sinnlosen Schmeichelreden zu ergehen; genug Teil seiner Herrschaft, um ihn unter Kontrolle zu haben. Und über ihn die Priesterschaft von Men-Nefer, sobald dort ein neuer Oberpriester eingesetzt worden war! Nein, diese Dinge waren wohl geordnet, soweit er es jetzt bewerkstelligen konnte. Aber was das Fundament in seinem Innern anbelangte, fühlte Amenemhat sich weniger fest.
An den Ufern wurden mehr und mehr flammende Punkte sichtbar: Fackeln, die den Wartenden die Dunkelheit erhellten. Zu Hunderten säumten sie den
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