Der Skorpion von Ipet-Isut
wünschend, dass dieser Empfang vorüber wäre und sie beide wieder Zeit füreinander hätten. Aber daran war für die nächsten Stunden nicht zu denken. Das Zeremoniell sah für sie keinen Platz vor. So war ein rascher Blick alles, was sie ihrem Gemahl noch schenken konnte, dann zog sie sich in das Innere der Kajüte zurück. Durch die Ritzen im Schilfrohrgeflecht verfolgte sie gespannt, wie Amenemhat die blutrot gefärbten Leinenbahnen um den Körper geschlagen wurden, das einem siegreichen Herrscher vorbehaltene feierliche Gewand. General Sobekemsaf legte ihm seinen eigenen Bronzepanzer an. Es folgten die Insignien für Unter- und Ober-Kemet, die Amulette der Kobra- und der Geiergöttin, der Schwertgurt und die weißen Schärpen mit den auf gestickten schützenden Flügeln der Isis, die über den Panzer gelegt wurden.
Unvermittelt fühlte sich Nefertari gepackt und gegen die nächste Wand gestoßen. Sie starrte mit schreckgeweiteten Augen in das Gesicht ihres Gardekommandanten. „Kemar, was-“
„Hast du geglaubt, mich hintergehen zu können?!“
Er drückte sie so fest gegen die Mauer, dass ihr Rückgrat protestierte. „Wieder zu ihm zu kriechen und seine Füße zu lecken und mich zu verraten?! O nein, o nein! Smendes wird die Kronen tragen und ich, ICH werde Vizekönig von Nubien! Du wirst mich nicht daran hindern!“
„Kemar, du bist wahn….“ Nefertaris Worte erstarben in einem Ringen nach Luft. Dann glitt ihr Blick abwärts und folgte ungläubig der Klinge, die ihr Gardekommandant gerade zurück zog, rot von ihrem Blut. Erst jetzt raste der Schmerz durch ihren Körper. Sie presste die Hände gegen die Wunde in ihrem Leib und sank vornüber auf die Knie. Blut lief über ihre Finger, ihr Gewand und bildete rasch eine Lache auf dem Boden vor ihr.
„Amenemhat…“ flüsterte sie, während Kemars Gestalt vor ihr in rasch dunkler werdendem Nebel verschwamm.
„Er wird dir bald ins Totenreich folgen, keine Sorge.“
Nefertari hatte keine Kraft mehr, etwas zu erwidern. Kemars Schritte entfernten sich hastig – und wurden einen Moment später von den leichten Füßen einer jungen Frau abgelöst. Mit einem entsetzen Schrei beugte sich eine der Zofen über ihre Herrin. Nefertari fühlte die Hände der jungen Frau, hörte ihre Angst erfüllte Stimme um Hilfe rufen.
Hilfe.
Ihr Geist versuchte, gegen die Dunkelheit und den alles einhüllenden Schmerz zu kämpfen, zu sprechen. Sie mobilisierte ihre letzten Kräfte auf dieses eine Ziel hin.
Das Schiff hatte angelegt und die Bootsleute befestigten die Taue. Aus Dutzenden Kehlen hallten die Worte des Lobpreises, der alle Götter der beiden Länder mit in den Jubel ihrer Einwohner hineinzog. In dieser Stunde berührte die Macht und Kraft der Götter die Erde und die Sterblichen.
„Gelobt sei der Sohn des Verborgenen, des Erhabenen, des Gewaltigen, der Sohn des Amun-Ra!“ intonierte der Zweite Gottesdiener von Ipet-Isut mit etwas brüchiger Stimme. Doch sein Ruf war noch immer laut genug, dass er alle Umstehenden erreichte. Sie fielen auf die Knie und neigten die Köpfe, während Amenemhat den angelegten Steg betrat.
„Gelobt der Geliebte der Nechbet und der Wadjet! Die Stärke Seths wohnt in seinen Armen und seinem Herzen...“
Amenemhat verhielt auf der Mitte des Steges. Der Wind spielte in den Enden seiner Schmuckschärpen. Die Stärke Seths? Die Stärke Seths und aller Götter können mir nicht die gleiche Kraft geben die Meritamun mir schenkt…
Mit diesem aufflammenden Gedanken wandte er sich um, bereit, seine Gemahlin an seine Seite zu rufen. Im nächsten Augenblick gellten entsetzte Schreie über durch die festliche Menge. Debora presste das Gesicht gegen das Geflecht der Kajüte. Sie sah General Sobekemsaf an Amenemhats Seite springen, Aufregung und Verwirrung in den Zügen der Menschen am Ufer. Von einem Wimpernschlag zum Anderen war der Lobpreis zu Ende. Die junge Frau stürzte hinaus. Das Nächste, was sie erblickte, war einer der Soldaten, die an Deck gestanden hatten. Jetzt lag er; der Schaft eines Pfeils ragte aus seinem linken Oberschenkel und zwei Kameraden bemühten sich um ihn. Debora drängte sich an ihnen vorbei zum Steg. Niemand kümmerte sich um sie. Amenemhat war am Ufer und umringt von einer aufgeregten Menge aus Soldaten, Höflingen und Priestern, kaum, dass sie ihn noch ausmachen konnte. War er verletzt?
„Amun hat seine schützende Hand über mich gehalten!“
Seine Stimme! Also war er wenigstens am Leben!
Weitere Kostenlose Bücher