Der Skorpion
die Bäume. Ich sitze nackt in meiner Hütte, meine Haut glänzt nach meinem eben absolvierten Workout vor Schweiß. Ich schaue auf den Bildschirm und nippe an meinem Drink. Die Eiswürfel klimpern leise in meinem Glas, während ich zusehe, wie die Polizei einen Mann namens Carl Rousseau in Handschellen aus einem eleganten Hotel zerrt – dem Courtland in Spokane, Washington. Sie stoßen ihn in den Fond eines Streifenwagens, sorgsam darauf bedacht, dass er sich nicht den Kopf stößt.
Die Polizisten sind stolz auf sich. Sie haben einen von den Bösen geschnappt. Die Kamera schwenkt herum und zeigt den Lieferwagen des Gerichtsmediziners am Schauplatz. Ein halbes Dutzend Polizeiautos parkt fächerförmig auf der Straße. Ihre Lichter tasten den verschneiten Rasen des Hotels ab. Eine Frau ist tot; man nimmt an, dass diese Frau die Idiotin ist, die versucht hat, meine Arbeit zu kopieren.
Eine Frau! Sie hat die Bullen an der Nase herumgeführt. Tja, das dürfte gar nicht so schwer sein, wie? Polizisten sind nun mal Schwachköpfe.
Es dreht mir immer noch den Magen um, wenn ich daran denke, dass jemand versucht hat, die Lorbeeren für meine Arbeit einzuheimsen. Dass die Polizei auch nur eine Sekunde lang annehmen konnte, ein Hochstapler könnte nachahmen, was ich in jahrelanger Arbeit entwickelt habe. Meine Finger spannen sich um das Glas, und ich zwinge mich dazu, ruhig zu bleiben. Immerhin ist der Betrug aufgedeckt worden. Wütend schalte ich den Fernseher aus und gehe zu dem Tisch, an dem ich mit der Vorbereitung der nächsten Tat begonnen habe. Perfekt geschrieben, penibel ausgearbeitet, bereit, um für die Polizei an einen Baum genagelt zu werden. Um sie wissen zu lassen, dass ich noch immer eifrig bei der Arbeit bin.
Neben den sauber gestapelten Botschaften liegen die Fotos der Frauen, denen ich die Gnade erwies, sie zu erwählen, Fotos, die ich in dem Moment aufgenommen habe, als sie erkannten, was ihr Schicksal sein würde. Sie schauen zu mir auf, und ich erinnere mich an sie alle, die glaubten, ich würde sie beschützen, sie retten … die sich mir anboten und bettelten wie die Huren, die sie nun mal sind.
Sie sind erst der Anfang.
So viele mehr müssen noch geopfert werden, und das Büro des Sheriffs muss daran erinnert werden, dass es noch nicht vorbei ist. Die Polizei wird merken, dass ich weiterarbeite, und ich weiß, wie ich mich ihrer Aufmerksamkeit, sogar ihres Respekts versichern kann. Dieser Trittbrettfahrer wird schließlich nicht noch einmal zuschlagen.
Ich höre ein Geräusch aus dem Zimmer ein Stück den Flur hinunter. Sie regt sich … weint vielleicht sogar.
Ich trinke mein Glas leer und weiß, dass es an der Zeit ist, meine Rolle zu spielen, mich anzukleiden und ein mitfühlendes Lächeln aufzusetzen, ihr zu versichern, dass alles gut wird, sobald der Sturm vorüber ist.
Dass ich ihr Retter bin.
Sie ahnt ja nicht, dass sie schon längst auserwählt ist: Um zu sterben.
Leseprobe
Lisa Jackson
»Der Zorn des Skorpions«
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1. Kapitel
Gestern
R egan Pescoli war heiß.
Allerdings nicht in erotischem Sinne.
Sie platzte fast vor Wut. Sie kochte vor Zorn. Stinksauer war sie.
Sie umfasste das Steuer ihres Jeeps so krampfhaft, dass ihre Knöchel weiß wurden, biss die Zähne fest zusammen und sah starr auf die Straße, als könnte ihr zornfunkelnder Blick das Bild des herzlosen Schweinehunds heraufbeschwören, der sie in diesen Zustand namenloser Wut versetzt hatte.
»Mistkerl«, zischte sie. Die Reifen ihres Dienstwagens gerieten auf dem vereisten Abhang leicht ins Rutschen. Ihr Herz raste, ihre Wangen waren trotz der Minustemperaturen draußen gerötet.
Kein Mensch auf der Welt außer ihrem Ex-Mann, Luke »Lucky« Pescoli, brachte sie dazu, dermaßen rotzusehen. So wie an jenem Tag. Da hatte er schließlich die unsichtbare Grenze überschritten, die Regan gezogen und er bisher respektiert hatte. Er war doch wirklich einfach nur ein Versager. In all den Jahren ihrer Ehe hatte er ihr nichts als Unglück gebracht.
Und jetzt hatte er es sich aus heiterem Himmel in den Kopf gesetzt, ihr die Kinder wegzunehmen.
Die altbewährte CD läuft im Hintergrund, während Regan wie eine Verrückte durch die steilen, schneebedeckten Berge und Schluchten in dieser Gegend der Bitterroot-Bergkette raste. Der Jeep reagierte optimal. Die Fenster beschlugen vor Kälte, der Motor überwand grollend den Pass, die Reifen fraßen sich über die verschneite Landstraße durch diese Bergkette, über den
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