Der Sodom Kontrakt
sich nicht einfach vom Acker machen und in einem stinkenden Ort untertauchen. Eine Stunde genoss er das Bad. Der Kopfschmerz war zu einem dumpfen Pochen abgeklungen. Er duschte zehn Minuten eiskalt, dann trocknete er sich ab und zog sich an. Das blutige Hemd verstaute er in seiner Tasche. Er trug nur ein T-Shirt unter der weichen Lederjacke, die ebenfalls ein paar Blutflecke abbekommen hatte. Er nahm die Sporttasche und verließ das Hotel. Er mochte den altmodischen Charme des Jugendstilhauses nicht. Die Anonymität moderner Bienenstockhotels war ihm lieber, aber da hatte Witten außer dem Hotel Am Saalbau nichts zu bieten. Dort war alles ausgebucht gewesen. Sein Wagen stand in der Tiefgarage unterm Marktplatz. Er vermutete, dass Brenners Mörder an seinem Auto eine Wanze angebracht hatten. Sonst hätten sie ihm nie zum Unterschlupf folgen können.
Gill aß in einem Stehimbiss auf der Bahnhofstraße zwei Sandwiches mit Putenbrust und Salat und trank mehrere Tassen einigermaßen erträglichen Kaffee. Dann ging er durch die Dämmerung die Bahnhofstraße hinauf, die natürlich nicht hinunter zum Bahnhof führte, sondern durch eine Unterführung zum Guss-Stahlwerk. Dunkle Wolken jagten über den Himmel und kündeten das nächste Gewitter an. Eilig hetzten die Menschen über die Einkaufsstraße von Geschäft zu Geschäft. Zu viele Schaufenster, die noch vor kurzem die Auslagen traditionsreicher Wittener Geschäfte präsentiert hatten, standen leer bis auf Schilder, die Vermietungsmöglichkeiten anpriesen. Die Neonreklamen wirkten erbärmlich. Die Stadt war auf dem absteigenden Ast. Ein paar Konsumtempel aus den Achtzigern blinkten noch in scheinbarem Wohlstand, aber auch ihre Tage waren gezählt. Die Unfähigkeit von Politik, Verwaltung und Wirtschaft hatte Jahrzehnte gebraucht, um die zähe Industriestadt an der Ruhr fertig zu machen. Jetzt waren sie endlich auf der Zielgeraden.
Gill ging ins Café Leye. Nach aller Wahrscheinlichkeit würde er hier Wolfram treffen, der jeden Abend zwei Stücke exzellenter Käsesahnetorte verdrückte. Er ging an den Verkaufstresen vorbei über die Treppe zum Gastraum im ersten Stock. Mit wachen Sinnen musterte er die Umgebung. Er sah die Kaffe & Kuchen-Oasen der Tische, hörte das Klirren von Gläsern und Tassen, die Geräuschkulisse leiser Gespräche, aus denen sich ab und zu ein Lachen oder empörte Stimmen hervorhoben. An mehreren Tischen diese auf vornehm machenden alten Weiber, die nicht verwinden konnten, dass ihre Klavierstunden schon sechzig Jahre zurück lagen.
Wolfram saß auf der unteren Ebene neben den Fenstern zur Bahnhofstraße. Er trug einen Jeans-Anzug, der ungefähr 1977 aus der Mode gekommen war und einen teueren Seidenschal lässig um den Hals. Auch mit Anfang vierzig hatte er noch die Blasiertheit eines allwissenden Pubertätsknaben. Im Mundwinkel allerdings begann sich die Falte des Zynikers einzugraben. Er las im Rolling Stone.
“Was ist denn Platte des Monats?”
Wolfram schaute nicht auf. Er las weiter.
“Kannste vergessen. Hallo, Gill. Mal wieder in der Stadt?”
Gill setzte sich, zündete eine Zigarette an. Eine hübsche Bedienung nahm seine Bestellung auf. “Lange nicht gesehen, Wolfi. Was macht das Geschäft?”
Wolfram blätterte um, ohne Gill anzusehen. “Was ich mit dem Laden verliere, muss ich beim Pokern wieder reinholen. Wir haben keine Rezession sondern eine gewaltige Depression. Birne hat dieses unser Land vollkommen runtergewirtschaftet. Proll-Gert gibt ihm den Rest. Ein Krieg muss her. Vorher geht es nicht mehr aufwärts.”
“Ich dachte, Oldies und Comics boomen.”
“Mit Comics verdienst du nichts mehr. Die harten Sammler haben alles, was sie haben wollten. Die neuen Sachen laufen bis auf ‘n paar Serien beschissen. Gottseidank kaufen sich die Musikfreaks ihre alten Platten auf CD nach. Bin selber ein Oldie. Ich hab Kunden, die nicht mal mehr John Wayne kennen.”
“Wenn du Bootlegs von Johnny reinkriegst, denk an mich.”
“Heiliger Cippolina! Du bist der einzige Mensch im Umkreis von zweihundert Kilometern der auf Johnny Halliday steht.”
“Johnny ist mein Guru.”
“Seit Jahren verstaubt so eine Greatest Hits von bei mir. Auf dem Cover sieht er aus wie ‘n NSU-Prinz-Fahrer, der mit fliegenden Fuchsschwanz von der Brackeler zur Werner Kirmes unterwegs ist. Der Typ, der sich seine Öltolle kämmend am Autoskooter vor den Bräuten aufspielt...”
“Du kennst nicht die guten Sachen von ihm. Er hat Hendrix mit
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